Sie Bereitet sich zum Tode.
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sie sich Andachtsübungen hin. Zurückgezogen in ihr Kabinett mit ihren beiden Kammerfrauen
Johanna Kennedy uud Elsbeth Curley, las und betete sie abwechselnd und suchte Stärkung
und Trost in der Leidensgeschichte Christi und in einer Predigt über den Tod des reuigen
Schächers. Gegen vier Uhr begab sie sich zur Ruhe, aber man bemerkte, daß sie nicht schlief.
Ihre Lippen bewegten sich fortwährend, sie schien in Gebet versunken.
Beim ersten Anbruch des Tages versammelte sich ihre Dienerschaft um sie. Sie las
ihnen ihr Testament vor, verteilte ihr Geld und ihre Kleider unter sie und sagte ihnen Lebe¬
wohl, indem sie die Franen umarmte und den Männern die Hand zum Kusse reichte. Mitten
in ber großen Halle des Schlosses war ein Schafott errichtet, welches von einem niedrigen
Geländer umgeben war. Gegen sieben Uhr wurden die Tore geöffnet und zahlreiche Edel¬
leute zogen ein. Maria hatte sich in das Oratorium begeben. Um acht Uhr erschien der
Sheriff Andrews, um sie zur Richtstätte abzuholen. Sie nahm das Kruzifix vom Altare
mit der rechten, das Gebetbuch mit der linken Hand, segnete ihre Diener, die ihre Hände
und ihren Mantel küßten und, sobald sie ans der Türe getreten war, ihren Tränen und
Klagen freien Lauf ließen.
Sie hatte ihre reichste Kleidung angelegt, wie es sich für eine verwitwete Königin geziemte.
Um den Hals trug sie eine Kette von Ambrakugeln, an der ein goldenes Kreuz befestigt war, am
Gürtel hing ein Rosenkranz. In ihrer Hand hielt sie ein Kruzifix von Elfenbein. Am Fuß
der Stiege fand sie ihren Haushofmeister Melville, dem seit mehreren Wochen der Zutritt
zu ihr verboten war. Der alte treue Diener fiel auf die Knie und weinte laut. Sie bot
ihm liebreich die Hand. „Klage nicht," sprach sie, „guter Melville, freue dich vielmehr!
denn du wirst das Ende von Maria Stuarts Leiden sehen. Die Welt ist nur Eitelkeit und
ein Meer von Tränen würde nicht hinreichen, ihre Trübsale zu beweinen. Gott vergebe
denen, die seit so langer Zeit nach meinem Blute dürsten wie der Hirsch nach der Quelle."
Dann brach auch sie in Tränen aus: „Lebewohl, guter Melville, lebe wohl und bete für
deine Königin!" Sie durchschritt die Halle mit derselben anmutsvollen Majestät, die sie so
oft in glücklicheren Tagen gezeigt hatte.
Als sie die Blutbühne bestiegen hatte, trat der Dechant von Peterborough zu ihr und
ermahnte sie im Namen der Königin Elisabeth, die katholische Religion abzuschwören. Maria
bat ihn wiederholt, sich selbst und sie nicht zu belästigen; er aber hörte nicht auf, zu reden
und mit dem ewigen Höllenfeuer zu drohen. Entschlossen, in der Religion, in der sie ge¬
boren und erzogen war, zu sterben, sank sie auf ihre Knie, betete voll Inbrunst für die
bedrängte Kirche, für ihren Sohn Jakob und für Elisabeth. Zuletzt hielt sie das Kruzifix
empor und rief: „Sowie deine Arme, o Gott! ausgestreckt waren am Kreuze, so nimm auch
mich auf in die Arme deiner Barmherzigkeit!" Dann wurden ihr die Augen verbunden und
die Henker führten sie zum Blocke. Hier kniete sie nieder und sprach wiederholt mit fester
Stimme: „In deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist!" Das Schluchzen und Stöhnen
der Anwesenden machte den Henker verwirrt; er zitterte und brachte ihr eine tiefe Wunde
bei; erst auf den dritten Streich wurde ihr Haupt vom Rumpfe getrennt. Als der Henker
es emporhielt, rief der Dechant: „Mögen alle Feinde der Königin Elisabeth so sterben!"
Aber keine stimme hörte man, die „Amen" sprach. Der Parteigeist war untergegangen in
Bewunderung und Mitleid.