Schillers Schlagwörter. Doppelter Irrtum.
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dieser Despotismus in der Person des Kaisers Ferdinand II. kulminiert habe. Und ein wie
tiefes Interesse der Dichter für diese Freiheit der Reichsfürsten nahm, wie sehr aus dem Ge¬
schichtschreiber der sachsen-weimarische Staatsdiener redete, ersieht man besonders aus seinem
Schlußurteil über Gustav Adolf, den er, nachdem er ihn in seinem Werke als eine hehre
Lichtgestalt gefeiert, plötzlich für einen dem „Heiligtum deutscher Verfassung und der Freiheit
der Stünde" noch gefährlicheren Feind als selbst das Haus Österreich hinstellt. Denn der
Kaiserthron, wonach Gustav Adolf gestrebt habe, sagt er am Schlüsse des dritten Buches,
„war in seiner Hand einem weit größeren Mißbrauche ausgesetzt, als man von dem öster¬
reichischen Geschlechte zu befürchten hatte." Schiller fah in dem Namen „Kaiser" ein „Ver¬
mächtnis des despotischen Rom."
llm seinen Schlagwörtern „österreichische Ländersucht", „österreichische Herrschbegierde"
wenigstens einen Schein von Wahrheit zu geben, bringt Schillers Phantasie die historischen Tat¬
sachen in den vollsten Widerspruch mit der Wirklichkeit und berichtet von den Kaisern Max II.
und Rudolf II. Dinge, welche jenen nur allzu fremd waren, ja, er behauptet sogar, daß der
lange kirchlich-politische Krieg in Frankreich von Österreich angefacht und unterhalten worden
sei; Heinrichs IV. von Frankreich „unversöhnlicher Haß" gegen das deutsche Kaiserhaus sei
darum „gerecht" gewesen. Kein französischer Geschichtschreiber hat den französischen König,
der Deutschland zerstückeln wollte, jemals mit so glühenden Farben verherrlicht als der
deutsche Dichter, der ihm den Beinamen „des Großen" zuerkennt und der es bedauert, daß
seine Pläne vereitelt, daß Österreich „gerettet" worden, um die Ruhe von Europa noch um
einige Jahrhunderte zu verschieben. Für die folgende Zeit erhält dann Kardinal Richelieu,
unter dem Heinrichs Staatskunst wieder aufblühte, die Lobsprüche des Dichters. Heinrichs
und Richelieus Lob hing mit Schillers Anschauungen über die „deutsche Freiheit" innig
zusammen und der Dichter blieb sich darin konsequent, viel konsequenter, als sich manche
spätere Historiker blieben, die den Kamps des deutschen Fürstentums gegen das Kaiserhaus
billigen und preisen, gleichzeitig aber aus nationalen Anwandlungen über Heinrich und
Richelieu den Stab brechen, die sich über die von diesen geleistete Hilfe freuen, aber den
Helfern keine Anerkennung zollen wollen.
Das blutige Drama des Krieges begann in Böhmen und Schiller geht bei der Dar¬
stellung des böhmischen Krieges von dem doppelten Irrtum aus, daß derselbe religiöser
Natur gewesen und daß er als ein Krieg der böhmischen Nation anzusehen sei, die durch
denselben, sagt er, „ihre Majestät zurückgenommen uud in den Zustand des natürlichen Rechts
zurückgetreten war." Und dieser doppelte Grundirrtum ist seitdem säst allgemein herrschend
geworden und verhindert bis heute das richtige Verständnis des dreißigjährigen Krieges. Dank
der unermüdlichen Tätigkeit gewissenhafter und ehrlicher Forscher ist die jetzt unbezweiselbare
Gewißheit festgestellt, daß die böhmischen Unruhen nur das Resultat slavo-tschechischer Um¬
triebe, nur eine Auflehnung böhmischer Aristokraten gewesen ist. [Vergl. den Artikel: Der
Aufstartd in Böhmen.]
Ebenso grundfalsch ist die durch Schiller landläufig gewordene Annahme, daß Ferdi¬
nands II. Politik den böhmischen Aufstand zum Religionskrieg gemacht habe, indem er
durch allzuharte Maßregeln die Gegenreformation durchzuführen bestrebt gewesen sei. Auch
hier hat die neueste Forschung das notige Licht gebracht und eine schwere Schuld der soge¬
nannten Wissenschaft gesühnt. [Vergl. den Artikel: Die Häupter des dreißigjährigen Krieges].
Als Schiller, um Geld zu bekommen, in aller Eile den ersten Entwurf seines dreißig¬
jährigen Krieges für Göschens Damenkalender machte, hat er nicht daran gedacht, daß man
sein Buch zu einem klassischen Werke stempeln würde, noch weniger, wollte er absichtlich Wir-