Der Majestätsbrief. Thurn und Tschernembl. Der Fenstersturz. Offener Aufstand.
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Der Aufstand in Böhmen.
In dem großen böhmischen Majestätsb riefe von 1609 war den böhmischen Herren
und Rittern sowie den königlichen Städten der Ban von Kirchen aus ihren Gütern gewährt,
im gleichzeitigen Vergleich den Untertanen auf den königlichen Gütern zugestanden worden,
sich eigene Kirchen zu bauen. Als aber die Untertanen der erzbischöflichen Stadt Sisostergrab
und des Abtes zu Braunau auf den Territorien ihrer geistlichen Herren protestantische Kirchen
bauten, wurde es ihnen von diesen untersagt; zugleich hatte Kardinal Klesel dem Grasen
Thurn das Burggrafenamt von Karlstein, somit die Verwahrung der Privilegien und In¬
signien des Reiches abgenommen und den ehrgeizigen Mann, der nicht einmal Böhme, sondern
nur in Böhmen begütert war, wider den Kaiser aufgebracht. In seinem Haffe fand er an
dem Kramer Tschernembl, welcher, als Ferdinand die katholische Religion in Steiermark her¬
stellte, nach Österreich ausgewandert war und sich an die Spitze der revolutionären Adels¬
partei gestellt hatte, einen Bundesgenossen. Von beiden
wurde jetzt alles aufgeboten, eine Umwälzung der Dinge
herbeizuführen, die dem Kaiserhause im günstigsten Falle
nichts als einen Schatten von Macht gelassen und der
katholischen Religion den Untergang gebracht hätte. Thurn
griff die in Frage schwebende Kirchenangelegenheit auf und
suchte aus ihr eine allgemeine Beschwerdesache zu machen,
verletzte aber damit selbst den Majestätsbrief, und als der
Kaiser dies bemerkte und die Häupter der stattgehabten
Versammlung als Aufrührer bezeichnete, ließ Thurn und
fein Anhang verkünden, der Kaiser wolle dem Lande seine
Privilegien entziehen. Bald war die Sache so weit ge¬
kommen, daß Thurn und die Seinen nicht mehr zurück¬
konnten: um so mehr suchte er durch eine blutige Tat
ganz Böhmen in sein Schicksal zu verwickeln. Er, Graf
von Schlick, Wilhelm von Lobkowitz und einige andere
vom böhmischen Herrenstande übersielen am 23. Mai 1618,
dem verhängnisvollen Tage für Böhmens Freiheit und Glück, die kaiserlichen Statthalter
auf dem Hradschin zu Prag und stürzten Wilhelm Slavata, Jaroslaw von Martinitz und
den Sekretär Fabrizius vom hohen Schloßfenster in den Graben hinab. Auf diese schänd¬
liche Tat, welche als böhmische Sitte entschuldigt wurde, folgte unverweilt der offene Auf¬
stand. Die Stände wählten 30 Direktoren, übergaben ihnen alle Macht, ernannten den
Grafen von Thurn zum obersten Anführer, vertrieben die Jesuiten und begannen, als die
Städte Budweis, Krumau und Pilsen dem Kaiser treu blieben, den Krieg gegen diese, indem
sie dieselben zum Abfall zu zwingen suchten. Zugleich spähten sie von allen Seiten Hilfe zu
erlangen, womöglich ganz Europa in Waffen zu rufen. Kaum war in diesen Wirren Kaiser
Matthias gestorben, so zeigte sich auch schon, wie eng sie mit den österreichischen Ständen
verbunden waren, wie ein allgemeiner Abfall der Erblande vorbereitet wurde.
Bereits jubelten die Hugenotten in Frankreich, deren Haupt, der Herzog von Bouillon, in
der innigsten Verbindung mit den deutschen Calvinisten stand, über die Katastrophe, welche
sich in den Erblanden über das Haus Habsburg zusammenzog. Es war kein Hehl, daß
Kaiser Ferdinand II.