Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der Apostasie der Völker (Band 3)

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Karls V. hohe Anschauung vom Kaisertum und von der Kirche. 
Indem Karl sich.zunächst nach Sizilien begab, verlor er doch diese Küste keinen Augen¬ 
blick aus den Augen, ja noch viel größere Hoffnungen erwachten in ihm. Durch Nachrichten 
von einem Unfall, welchen die Osmanen in Persien erlitten, besonders dazu bewogen, 
schickte Paplt Paul III. den General der Franziskaner an den Kaiser, um ihn zu einem 
umfassenden Unternehmen gegen die Osmanen zu bewegen. In den Briefen des Kaisers 
selbst ist zwar zunächst nur von einem Angriff auf Algier, von einer Fortsetzung des be¬ 
gonnenen afrikanischen Krieges die Rede; aber ein Mitglied des Hofes versichert mit Bestimmt¬ 
heit, auch von einem Zuge gegen Konstantinopel für den nächsten Sommer habe man ihn 
sprechen hören. 
Karl V. und Moritz von Sachsen. 
Moritz von Sachsen hatte die Sache seiner Glaubensgenossen verraten, um die Kur¬ 
würde zu erhalten. Jetzt, im Besitze derselben, wurde er zum Verräter an Kaiser uud Reich. 
Dieser Verrat ist eines der lehrreichsten Kapitel deutscher Geschichte, weil er beweist, wie die 
Religion in Deutschland den Vorwand hergeben mußte, politische Sonderzwecke zu verfolgen, 
die Einheit des Reiches zu schwächen und den Erbfeinden Deutschlands in die Hände zu 
arbeiten. Es ist notwendig, znm Verständnisse der Begebenheiten eine Charakteristik der han¬ 
delnden Personen vorauszuschicken. 
Kaiser Karl V. war ein vollendeter Staatsmann, erfüllt von einem großen, glänzenden 
Ideal. Das Kaisertum wollte er nicht zur Puppe werden lassen, womit einige ehrgeizige 
Fürsten zur Vermehrung ihrer Rechte, Untertanen und Einkünfte nach Belieben ihr Spiel 
zu treiben dachten. Nach dem hohen Begriffe des Mittelalters sah er im Kaiser noch 
das Haupt der Christenheit und den Schirmherrn der abendländischen Kirche. Karl vn> 
kannte nicht, daß sich dieses Kaisertum ans das Reich und die Nationalität der Deutschen als 
seine rechtmäßige Grundlage stützte. Indem er es innerhalb der ursprünglichen, nicht 
der seit kaum einem halben Jahrhunderte künstlich gemodelten Rechtsformen, nnd zwar gerade 
durch deren strenge Ausrechthattung in seiner alten Hoheit zu befestigen trachtete, erblickte 
er aber auch zugleich in ihm das ideale Bindemittel seiner Erbstaaten Spanien, Neapel, 
Sizilien, Sardinien, der Niederlande und der Gebiete, die er noch als Erzherzog von Öster¬ 
reich und außerdem in Italien besaß und die sein Bruder als König von Ungarn und Böh¬ 
men^ wozu noch Mähren, Schlesien und die Lausitz gehörte, beherrschte. Die gleiche hohe 
Ansicht hegte Karl von der Kirche. Er verkannte keineswegs, was sich seit den letzten 
Jahrhunderten in ihren Zuständen zu ihrem eigenen Schaden gewendet hatte. In seinem 
Rechte als Schirmherr gedachte er, sie an Hanpt und Gliedern in Würde, Reinheit und 
wahrer Einigkeit wiederherzustellen. Deshalb drang er mit solchem Eifer auf die Berufung 
eines allgemeinen Konzils; denn in ihm mußte er das durch das Herkommen geheiligte Ver¬ 
söhnungsmittel, die Möglichkeit einer wahrhaften Reform erblicken. Behielt er sich selbst 
einen gewissen Einfluß auf dieses Konzil vor, so geschah es, um alle Machinationen abzuwen¬ 
den, die dessen Bestimmung zu vernichten drohten. 
^ 9roB die Ziele Karls V. waren, so klug und erfahren zeigte er sich in den 
taatvgeschästen. Da sah man kein Jagen nach-eitlem Ersolge, dessen Glanz in wenigen 
^.agen wieder erbleicht. Karl trug stets das volle Bewußtsein dessen in sich, was er beab- 
sichtigte. Aus dem Briefwechsel, den er mit seiner Schwester Maria, seinem Bruder Ferdinand
	        
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