Die Fürsorge für die arbeitenden Klaffen im Deutschen Reiche.
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Verkaufsstellen tätigen Personen vorzubeugen, wurde durch ein weiteres
Nachtragsgesetz zur Gewerbeordnung vom Jahre l900 bestimmt, daß offene
Verkaufsstellen von 9 Uhr Ubends bis 5 Uhr Morgens für den geschäft¬
lichen Verkehr geschlossen sein müssen, und daß diese Uegel, abgesehen von
unvorhergesehenen Notfällen, nur unter bestimmten Voraussetzungen und
mit Genehmigung der Behörde Uusnahmen erleiden darf.
4. Die Urbeiterschutzgesetzgebung ist hiermit keineswegs endgültig ab¬
geschlossen. Das wirtschaftliche Leben eines Volkes ist in steter Bewegung
und Umbildung begriffen,' deshalb wird man auch an Gesetzen, die wirt¬
schaftliche Verhältnisse zu regeln bestimmt sind, leicht Einzelheiten aus¬
findig machen können, die besser und vollkommener sein könnten. Uuch
können die Vorschriften solcher Gesetze niemals allen Wünschen und Un¬
sprüchen gleichzeitig gerecht werden. Umsomehr muß man dankbar an¬
erkennen, wenn ein Gesetz zwischen einander widerstreitenden Interessen
die richtige Mittellinie trifft. Dies war und ist bei den Versicherungsgesetzen
und dem Urbeiterschutzgesetze keine leichte Uufgabe. Es ist natürlich, daß die
Urbeiterfürsorge ganz bedeutende Opfer an Geldmitteln erfordert. Diese
fallen zum größten Teile den Unternehmern zur Last und bilden für sie
einen neuen, schwerwiegenden Bestandteil ihrer Geschäftsunkosten. Letztere
dürfen aber nicht so hoch gesteigert werden, daß unsere einheimische Industrie
nicht mehr im stände ist, mit der ausländischen auf dem Weltmärkte in
Wettbewerb zu treten.
Trotz dieser dem Gesetzgeber durch den Zwang der Verhältnisse ge¬
zogenen schränken ist auf Grund der vorhandenen Gesetze Großartiges für
, die Urbeiter-Wohlfahrt geleistet worden. Im Jahre 1898 waren gegen
Krankheit rund 9'/4 Millionen, gegen Unfall rund 1894 Millionen, gegen
Invalidität über 129s Millionen Urbeiter versichert. In den Jahren
1885—1899 haben im ganzen rund 40 Millionen Personen Entschädigungen
an Krankheitskosten und laufenden Uenten erhalten, und diese Entschädi¬
gungen haben in Summa 2415800000 Mark, also nahezu 29s Milliarden
betragen. Gegenwärtig werden für diesen Zweig der Urbeitersürsorge in
Deutschland täglich über 1 Million Mark aufgewendet. Eine gleich um¬
fassende und reichliche Fürsorge für die Urbeiter findet sich in keinem andern
Staate; erst in den letzten Jahren haben einzelne Negierungen angefangen
die deutschen sozialpolitischen Gesetze teilweise nachzuahmen.
So liefert unsere Urbeiter-Gesetzgebung einen neuen glänzenden Be¬
weis dafür, daß die Herrscher aus dem hohenzollernhause nicht nur ein
scharfes Zchwert gegen die Feinde ihres Landes führen, sondern auch in
stiller, nachhaltiger Friedensarbeit bemüht sind, Glück und Zufriedenheit
in ihrem Volke zu verbreiten. Hermann.
Heinecke, Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen. 22