Full text: Lehrbuch der mittleren Geschichte (2)

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Deutschen anzuregen, zumal die Staufer eigentlich die ersten 
deutschen Fürsten waren, welche mit feinerem Verständnis die 
schönen Künste begünstigten und zum Teil selbst ausübten. 
Die fortwährenden, wenn auch nicht immer siegreichen, doch 
ruhmvollen Kriege, welche die staufischen Kaiser führten, er¬ 
hielten die deutsche Ritterschaft nicht nur in leiblicher, sondern 
auch in geistiger Aufregung. Noch wirksamer zeigten sich die 
Kreuzzüge. In den Zurückkehrenden bildete sich die Sehnsucht 
aus, wenigstens im dichterischen Abbilde alles erlebte Große 
und Wundersame zn genießen. So bildete sich die deutsche 
Ritterschaft zu einem in sich abgeschlossenen Stande aus, der 
alles höhere Geistesleben in Deutschland beherrschte. Die drei 
Ideale dieses von einem höheren poetischen Gefühle getragenen 
Rittertums waren Gottesdienst, Herrendienst, Frauen¬ 
dienst. Die ganze poetische Gattung zu ihrer Verherrlichung 
nannte man Minnesang, ein Ausdruck, welcher im engeren 
Sinne besonders auf die ritterliche Lyrik angewandt wird. 
Als Minnesänger traten sowohl Männer ritterlichen (Herren) 
als auch solche bürgerlichen Standes (Meister) auf. Sie zogen 
von Burg zu Burg und von Hof zu Hof und erwarben sich 
hierdurch reiche Geschenke, welche ihnen ihre Gesänge eintrugen. 
Die Sagenstoffe zu denselben nahmen sie fast ausnahmslos 
aus der Fremde, da die alt einheimischen Heldensagen nicht 
hinreichend den ritterlichen Anschauungen dieser Zeit entsprachen. 
Die hervorragendsten epischen Dichter dieser Blütezeit der 
Litteratur sind: Herr Heinrich von Veldeke, um 1186 (er 
bearbeitete in seiner „Eneit" die Äneassage ganz und gar im 
Geiste des mittelalterlichen Rittertums); Herr Hartmann 
von Aue, um 1200 („der arme Heinrich", „Jwein"); der 
ernste tiefsinnige durch und durch deutsche Herr Wolfram 
von Eschenbach, um 1228 („Parzival"); Meister Gott¬ 
fried von Straßburg, um 1220 („Tristan") und der 
kunstfertige Meister Konrad von Würz bürg. — Von den 
überaus zahlreichen Vertretern der ritterlichen Lyrik und des 
Minnegesanges im engeren Sinne gebührt durch Wohllaut, 
tiefen poetischen Gehalt und Vielseitigkeit Herrn Walter von 
der Vo gelweid e den Vorzug. — Auf dem Gebiete der volks¬ 
mäßigen Poesie entstanden aber um dieselbe Zeit die beiden 
großen Epopöen das Nibelungenlied und die Gudrun, 
Dichtungen, welche in ästhetischer wie nationaler Beziehung zu 
den größten Kleinodien des deutschen Volkes zu zählen sind. 
So reich und glänzend die Blüte der Litteratur der dama¬ 
ligen Zeit war, so kurz war die Dauer derselben. Durch die 
Zeit des Interregnums verlor sich der Sinn für die Pflege und 
Ausübung schöner Künste und das in Roheit und Räuberei ans-
	        
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