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Einern Hinscheiden aber wollte niemand dem Monarchen Mitteilung
Aachen. Endlich übernahm der Generalarzt v. Lauer diese traurige
Aufgabe.
„Sagen Sie mir alles,“ unterbrach der Kaiser die mitfühlenden
Einleitungsworte, die von einer Verschlimmerung sprachen — „mein
Enkel ist tot!“ Als er keine Antwort erhielt, rief er klagend aus:
„0, meine arme Tochter, meine arme Tochter!“ Dann ging er in
soin Schlafzimmer und weinte dort lange Zeit in ergreifendstem
Schmerze.
In seinen letzten Lebenstagen bedrückte den Kaiser, wie im
"Wachen so auch im Schlaf, auf das schmerzlichste die Krankheit
seines Sohnes, des Kronprinzen. Herzerschütternd waren die Klagen
des schwergebeugten kaiserlichen Vaters. Oft bat er den Dr. v. Lauer
in rührendster Weise, ihn nach San Demo reisen zu lassen. Als
der Stabsarzt Dr. Thiemann sich abmeldete, um den hoffnungslos
erkrankten Thronfolger aufzusuchen, äusserte der Kaiser zu ihm:
„Litte, bitte! nehmen Sie mich mit. Ich will Ihnen unterwegs
keinerlei Sorgen machen; ich will ein geduldiger Reisegefährte sein!“
Nach Paul Lindenberg.
49. Der greise Kaiser weint.
1. Schon herrschet nächtlich Schweigen im Kaiserschloss Berlin,
uur Posten auf und nieder in tiefer Trauer ziehn.
Leim Schlafgemach des Kaisers hält noch der Leibarzt Wacht,
ob der geliebte Herrscher auch schlummre sanft zur Nacht.
2. Da hört der treue Diener gar bangen Klageton,
da hört er leises Schluchzen: „Mein armer, kranker Sohn!“ —
Er stürzt erschreckt, betroffen hinein ins Schlafgemach:
La sitzt der greise Herrscher auf seinem Lager wach.
3- „Getreuer,“ spricht der Kaiser und reicht dem Arzt die Hand,
„os welkt die schönste Eiche dahin im fernen Land!
Den Erben meines Thrones, den ritterlichen Herrn
bewältigte die Krankheit, ach, seinem Volke fern!“
4. Und alle deutschen Lande durchzieht die Trauerkund’:
Es hat geweint der Kaiser zu mitternächtger Stund’!
Es hat geweint der Kaiser um seinen kranken Sohn!
— 0, Gott im Himmel, schütze den Hohenzollernthron!
Paul Albers (gekürzt).
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