33
grünenden Körner, bereitend in ihnen den süßen Saft, den Trank für
Götter und Menschen.
Mit reichen Trauben geschmückt, neigte bald der Weinstock sich zu
seinem Herrn nieder, und dieser kostete seinen erquickenden Saft und
nannte ihn seinen Freund. Die stolzen Bäume beneideten jetzt die
schwanke Ranke; denn viele von ihnen standen schon entfruchtet da; er
aber freute sich seiner schlanken Gestalt und seiner harrenden Hoffnung.
Darum erfreut sein Saft noch jetzt des Menschen Herz und hebt
empor den niedergesunkenen Mut und erquicket den Betrübten.
Verzage nicht, Verlassener, und harre duldend aus! Im unansehn⸗
lichen Rohre quillt der süßeste Saft; die schwache Rebe gebiert den
erquickendsten Trank der Erde.
J. G. Herder.
43. Erlkönig.
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? —
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron' und Schweif? —
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.
„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ —
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? —
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. —
„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ —
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort? —
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau,
Es scheinen die alten Weiden so grau.
N, Gottesleben, Deutsches Lesebuch.
8