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zum Führer wählt durch das Inferno und nicht in der Sprache der Kirche,
sondern italienisch dichtete. Aber als der erste wirkliche Humanist ist der
Zweite große italienische Dichter jener Zeit, Petrarca, anzusehen. Er
begeistert sich einerseits an der Schönheit der klassischen Dichtung,
andererseits an der Schönheit der Natur (er ist der erste gewesen, der einen
Alpengipfel, den Ventour, bestieg, und die Schönheit der Bergwelt genoß)
und forderte als das Recht seiner freien Persönlichkeit, sich zu lösen von
den Fesseln der Scholastik und der Kirche und sich aneignen zu dürfen alles,
was ihm edel, schön und gut erscheine. Er sammelte Münzen, Handschriften
von Klassikern und verehrte sie als Ueberbleibsel der Antike, wie er auch die
Baudenkmäler der klassischen Zeit mit bewunderndem Auge betrachtete.
Sein Schüler war Boccaccio, der von ihm die Liebe fürs klassische
Altertum erbte. Sein Dekamerone ist im tuskischen Dialekt geschrieben,
doch er erwartete seinen Nachruhm von seinen lateinischen Dichtungen,
und seine Bewunderung galt dem Altertum.
Diese drei großen Humanisten hatten zu ihrem großen Schmerze
nicht die Möglichkeit gehabt, die griechische Sprache zu erlernen, aber
um 1400 kam der Grieche Chrysoloras als Lehrer des Griechischen
nach Florenz, und von nun an wurde das Studium der griechischen
Sprache eifrig betrieben.
Daneben forschte man fleißig nach alten Handschriften, und ganz
besonders in deutschen Klöstern machte man in dieser Hinsicht bedeutende
Entdeckungen. Poggio Bracciolini, Aurispa und Filelf o waren
eifrige Sammler. Bald fand auch der Humanismus hohe Gönner, so vor allem
in den Stadtrepubliken und Stadlherzogtümern, wie in Florenz, wo die
Medici seine begeisterten Anhänger waren, mit reichen Summen die Huma¬
nisten bedachten und vor allem die neuerstehende, an der Antike als Vorbild
sich aufrichtende Kunst verschwenderisch unterstützten. Cosimo und später
Lorenzo Medici in Florenz waren hervorragende Gönner der Hu¬
manisten, und außer den genannten Humanisten waren Künstler wie
Lionardo da Vinci, Michel Angelo und später Raffael Schütz¬
linge dieser und anderer fürstlichen Mäzene. Bis auf den päpstlichen
Stuhl schwang sich der Humanismus, denn Papst Nikolaus V. (Tom-
maso Parentucelli) und später Pius II. (Aenea Sylvio Piccolomini)
waren begeisterte Humanisten und Begünstiger der Bewegung.
Doch der italienische Humanismus artete bald nach zwei Seiten hin
aus: einmal trieb der Kampf gegen die Fesseln der Kirche und ferner die
Beschäftigung mit der heidnischen Kultur und ihren Idealen die italienischen
Humanisten zunächst zur Kirchenfeindlichkeit, die bald sogar in Religions¬
feindlichkeit, mindestens in Gleichgültigkeit oder spöttische Ueberlegenheit
gegenüber der Religion überging und zugleich eine tiefgehende sittliche
Entartung, ein schrankenloses Hingeben an sinnliche Genüsse einerseits,
ein rücksichtsloses Auslebenwollen aller Triebe und Gelüste, besonders der
Herrschertriebe und Machtgelüste, erzeugte, die solche Gewaltnaturen wie
den schrecklichen Cesare Borgia erstehen ließen, und zweitens verflachte
der Humanismus in der Weise, daß nicht gründliches Studium der Schriften
der lateinischen und griechischen Klassiker zum Zweck des Verstehens und