v, Thielemann: Urwald am Magdalenenstrom. 243
schon bereit; bald war ausgepackt und das neue Bild des unendlichen,
jungfräulichen Waldes ließ die Qualen der Nacht verschwinden.
Drei volle Tage ritt ich durch Urwald und Urwald. Ländliche
Hütten in einer kleinen Lichtnng bezeichnen das Ende eines jeden Tage-
Marsches; ein Jndianerpaar ist hier angesiedelt und bereitet zuvorkommend
ein einfaches Mahl — so einfach, daß ich auf der ganzen Strecke kaum
einen Bissen genoffen habe. Ich lernte aber bald minder anspruchsvoll
sein und habe mich schließlich bei der Landeskost mit Zusatz von etwas
Reis und einigen Eiern stets wohl befunden. Die über einen Holzrahmen
straff gespannte Ochsenhant liefert bei den warmen Nächten ein weit er-
quicklicheres Lager, als ein Bett es könnte. Andere Möbel sind unbekannt.
Schränke bedürfen die Glücklichen nicht; sie hätten ohnehin nichts hinein-
zuthuu. Mit dem Grauen i>es Tages treibt der Arriero (Maultiertreiber)
die Maultiere aus der nahen Umzäunung zusammen, wo sie über Nacht
gegrast haben, und wieder geht es durch Wald und Wald, bis am Abend
die nächste Hütte die kleine Karawane aufnimmt. Was ich in diesen
Tagen Staunenswertes gesehen, vermag die Feder nicht zu schildern;
was sich wiedergeben läßt, sind einzelne Eindrücke, abgerissene Bilder,
nie das Ganze.
Vom Magdalena bis zum Fuß der Ostcordillere steigt der Boden
allmählich an; er ist wellig, und wenn die Erhebungen auch unbedeutend
bleiben, so sallen sie doch steil genug ab. Gerade dieser Umstand ver-
schaffte mir bessere Einblicke in die Geheimnisse des Waldes. Der Weg
nämlich, dessen Trockenhaltung sonst unmöglich wäre, läuft stets auf deu
Kämmen der Wellen uud durchschneidet die Thüler nur, wo die Züge
der Hügel zu sehr von der Richtung des Zieles abweichen. So bieten
sich dem Auge Reihen von Einblicken und Seitenblicken, während auf
völlig ebenen Strecken das Unterholz den schmalen Pfad mauergleich
einschließt. Dies Hindernis verschwindet, wenn der Reiter auf dem Kamme
der steilen Wand, nahe an den Kronen der Palmen, vorüberzieht; was
unten seinen Blick hemmte, erscheint von hier wie ein wogendes, grünes
Meer, aus welchem die mächtigen Stämme gen Himmel streben. Das
Gewebe der Schmarotzer bildet hier oben zierliche Ranken und Kränze,
ohne das Bild völlig zu verschließen. Auffallend dunkel zeigt sich das
Blattwerk. Es ist nicht allein der Schatten, welcher das Gehölz füllt;
das Laub dieser Wälder ist durchweg von tiefer Farbe, oft lederartig
glänzend. Der Wuchs am Boden selber erscheint fast schwarz. Freund-
lich dagegen leuchten die saftigen Blätter der Helikonien. Sie gleichen
durchaus den Bananen, nur fehlt ihnen der Stamm. Selbständig scheint
jedes Blatt dem Boden zu entsprießen, und in zierlicher Neigung wölbt
es sich über dem engen Pfad. Lange Strecken ritt ich unter dem Dache
der klafterlangen Blätter wie in einer Laube. In brennendem Rot und
16*