Full text: Karten und Skizzen aus der allgemeinen Geschichte der letzten 100 Jahre (Bd. 4/5b)

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als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes ankam und den 
andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: „Ich 
hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo 
ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren 
brauste, oder das Herzwasser liefe mir!“ 
Als er zum Doktor kam, nahm ihn der bei der Hand und 
sagte ihm: „Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was 
Euch fehlt!“ Da sagte er: „Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, 
und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so sollss mich freuen!“ Der 
Doktor sagte: „Das hat Euch ein guter Geist geraten, daß Ihr 
meinem Rate gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden; aber 
Ihr habt noch Eier im Leibe. Deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß 
heimgehen und daheim fleißig Holz sägen, daß es niemand sieht, und 
nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht 
ausschlüpfen, so könnt Ihr ein alter Mann werden,“ und lächelte 
dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: „Herr Doktor, Ihr seid ein 
feiner Kauz, und ich verstehe Euch wohl,“ und hat nachher dem Rate 
gefolgt und 87 Jahre 4 Monate 10 Tage gelebt, wie ein Fisch 
im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzte 20 Dublonen 
zum Gruße geschickt. 
94. Kannituerstan. 
Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, Betrachtungen über 
den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und 
zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel 
gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem 
seltsamsten Umwege kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam 
durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als 
er in diese große und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, 
wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm 
sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner 
ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines 
erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare 
Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dache, die schönen Gesimse und 
die hohen Fenster, größer als an des Vaters Hause daheim die Tür. 
Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden 
anzureden. „Guter Freund,“ redete er ihn an, „könnt Ihr mir nicht 
sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit 
den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?“ Der
	        
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