Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

Seele nicht den fremden, sondern den ihr eingeborenen Schmuck getan 
hat: die Gerechtigkeit, die Besonnenheit, den Mut, die Freiheit und 
Wahrheit, und also geschmückt auf seine Fahrt nach der Unterwelt 
wartet, um zu ziehen, wenn das Geschick ihn ruft. Ihr alle, Simmias du, 
du Netzes, alle, alle werdet ihr späterhin jeder zu seiner Zeit die Reise 
antreten; mich ruft jetzt schon, würde ein Tragiker sagen, das Schicksal. 
Die Stunde ist gekommen, datz ich mich nach dem Bade umsehe; es ist, 
meine ich, besser, daß ich mich bade, bevor ich das Gift trinke, ich erspare 
dadurch den Weibern die Mühe, meinen Leichnam zu waschen. 
Da Sokrates also gesprochen, fiel Kriton ein: Du hast recht, So¬ 
krates! Hast du aber diesen da oder mir nichts betreffs deiner Kinder 
aufzutragen? Oder gibt es vielleicht sonst noch etwas, womit wir dir 
gefällig sein könnten? 
Sokrates: Nichts, Kriton, nichts anderes, als was ich immer sage: 
Denkt an euch selber, an eure Seele, so werdet ihr alles, was ihr tut, 
mir und den Meinen und euch selber zu Danke machen, auch wenn ihr 
mir jetzt keine Versprechungen macht. Wenn ihr aber euch und eure 
Seele vergesset und dem, was ich euch jetzt und immer gelehrt, nicht 
folgen wollet wie einer Spur, so werdet ihr mir es niemals recht machen, 
auch wenn ihr mir jetzt noch so viel versprecht. 
Kriton: Das wollen wir nicht vergessen, Sokrates. Doch sage, wie 
willst du, daß wir dich begraben? 
Sokrates: Ganz so wie ihr wollt, vorausgesetzt, daß ihr mich dann 
wirklich habt und ich euch nicht entwische, Kriton. 
Sokrates lächelte leise und wandte sich an uns: Ich kann diesen 
Kriton nicht davon überzeugen, daß ich der Sokrates, der jetzt mit euch 
redet und euch alles Satz für Satz auseinandersetzt, und daß ich kein 
anderer bin, denn Kriton sieht in mir nur den Toten, und diesen Leichnam 
fragt er, wie er ihn begraben soll. Daß ich aber vorhin schon in meiner 
langen, langen Rede erklärt habe, ich würde, nachdem ich das Gift 
getrunken, nicht mehr bei euch weilen, sondern mich nach einer Stätte 
seliger Menschen aufmachen, damit, meint er, hätte ich euch und mich 
selber eben nur beruhigen und trösten wollen. So steht ihr doch einmal 
für mich bei Kriton ein — anders allerdings, als er für mich bei den 
Richtern bürgen wollte! Er hat dafür gebürgt, daß ich bleiben werde; 
bürgt ihr bei ihm dafür, daß ich nicht bleiben werde nach meinem Tod, 
daß ich mich auf- und davonmachen werde, denn Kriton wird es so 
leichter tragen und sich nicht abhärmen, wenn er meinen Leichnam be-
	        
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