Zwei Hohenzollernreisen nach Jerusalem.
20
95—
den Boden polstern und als die einzig Unüberwindlichen über Frost und Schnee
frohlocken. Das Blöken der Schaf- und Rindviehherden hat sein Ohr schon
längst nicht mehr vernommen. Die Menschen, die er hie und da etwa antrifft,
kommen ihm fremdartig vor, kleiner als daheim, mit einem andern Schnitt
der Kleider und mit einem andern Gesicht. Es sind die Lappländer, mit
welchen er im Norden von Schweden und Norwegen Bekanntschaft macht.
Auch mit dem Renntiere wird er Freundschaft schließen müssen; denn
ohne dieses Tier könnte er in Lappland gar nicht leben. Es hat unter allen
Hirscharten die gedrungenste und kräftigste Gestalt. Der ganze Bau dieses
Tieres ist zum Ertragen von Beschwerden, zum Ziehen von Lasten einge⸗
richtet. Auch weiß es sich auf einem Boden zu ernähren, der acht Monate
des Jahres mit Schnee und Eis bedeckt ist. Hunger erträgt es ohne viel
Beschwerde; Moos ist sein Lieblingsgericht. Trotz dieser kärglichen Nahrung
überwindet es aber viel besser als das Pferd alle Schwierigkeiten, welche
Schnee- und Eisfelder bieten. Unglaubliches vermag es vor dem Schlitten
zu leisten. Wegstrecken, zu denen der Lappe im Sommer drei Tage gebraucht,
durchläuft es im Winter in einem Tage. Nur gegen die Wärme und die
Mücken ist es empfindlich. Kommt daher die kurze Sommerszeit, so ist der
Lappe gezwungen, mit seinem Renntiere aus den warmen Tälern auf die
Berge zu flüchten, und selbst da sucht es sich gern ein Schneefeld zum Ruhen
aus. — So ist der Bewohner des Nordens von Europa ein Nomade ge—
worden, weil die Renntiere, welche ihm Kleidung und Nahrung geben, No—
maden sind. Im Winter lebt er in den Tälern; im Sommer schlägt er
seine Zelte auf den Bergen auf. Birkenstämme bilden das Gerüst, Renntier⸗
felle die Decke des Zeltes, in welchem nicht nur Weib, Kind und Gesinde,
sondern auch die Hunde Aufenthalt nehmen. Diese treiben jeden Tag die
Herden zum Melken zusammen, und wie der Lappe keine andre Milch als
die seiner Renntiere kennt, so kennt er auch kein andres Bett als ihr Fell.
Seine Herden sind sein einziger Reichtum, und das Glück und Unglück hängt
oft von dem Wohl und Wehe dieser Tiere ab. Wer Herr einer Herde von
1000 Renntieren ist, gilt für einen reichen Mann. Wird dem Lappländer ein
Kind geboren, so beschenkt er es mit einem Renntierkalbe; bekommt es den ersten
Zahn, so wird es wieder mit einem solchen Geschenke bedacht. Aarl Gude.
177. Zwei Hohenzollernreisen nach Jerusalem.
Im Leben unsers zweiten und dritten Hohenzollernkaisers sind die
Reisen, welche dieselben nach dem Heiligen Lande unternahmen, Ereignisse
von hoher Bedeutung geworden. Nicht lange vor der Errichtung des neuen
Deutschen Reiches besuchte Kaiser Friedrich III.. damals noch Kronprinz von