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5. Karl der Große.
sträubten. Einen König, der alle Krieger zum Kampfe gegen den Feind
geführt hätte, hatten sie noch nicht; sie wählten einen Herzog, dem nur
freiwillig Gehorsam geleistet wurde, soweit jeder wollte. Widukind — so
hieß er —- war anfangs unermüdlich im Kampfe und erschöpfte die Ge-
duld des Gegners so sehr, daß sich dieser zu den härtesten Maßregeln
entschloß. Ein fränkisches Heer war von den Sachsen, die schon wieder-
holt Unterwerfung gelobt und von denen viele sich hatten taufen lassen, durch
einen Überfall vernichtet worden. Furchtbar war die Rache des erzürnten
Königs, der selbst mit gewaltiger Macht in Sachsen einfiel. Viele ge-
fangene Sachsen wurden zu Verden an der Aller hingerichtet. Er erreichte
durch diese Härte nicht einmal seinen Zweck, die Sachsen von allen ferneren
Aufstandsversuchen abzuschrecken.
Im Gegenteil: als Widukind jetzt racheschnaubend durch die Gauen
seiner Landsleute eilte, da strömten ihm so große Scharen von Kriegern
zu, daß er statt der kleinen Kämpfe, auf die er sich bisher hatte be-
schränken müssen, zwei große Feldschlachten wagen konnte. Zu seinem
Unglück; denn gänzlich besiegt mußte er nun einsehen, daß jeder Wider-
stand gegen die Kriegskunst Karls vergeblich sei. Zur Weihnachtszeit kam
er (785) an das Hoflager des Frankenkönigs, um sich taufen zu lassen.
Seinem Beispiele folgte die Mehrzahl der Sachsen.
Damit hörte der Kampf allmählich auf; Karl hatte die große Auf¬
gabe gelöst, Norddeutschland zum Christentum zu bekehren und seinem
Reiche einzuverleiben.
3. Ebenso gelang es ihm, das Langobardenreich in Italien zu unter-
werfen und im nördlichen Spanien das Gebiet zwischen Pyrenäen und
Ebro zu gewinnen. Als er auch gegen die räuberischen Avaren (in
Ungarn) glücklich gekämpft hatte, war sein Staat so groß geworden, daß
er dem früheren römischen Kaiserreiche glich und die Bezeichnung Karls
als König der Größe und Bedeutung des Reiches nicht mehr entsprach.
Deshalb kam er auf den Gedanken, eine höhere Würde anzunehmen. Fest
aber hatte sich den Seelen der Germanen die Erinnerung an die Macht
und Herrlichkeit der römischen Kaiser eingeprägt, so daß für sie dieser
Titel den Inbegriff höchster weltlicher Macht und Majestät darstellte.
Deshalb ließ sich Karl, als er im Jahre 800 das Weihnachtsfest in Rom
feierte, zum römischen Kaiser ausrufen und vom Papste krönen. Er
erneuerte also die Würde, die dreihundert Jahre geruht hatte, und mit
ihm begann eine Reihe von Fürsten, die tausend Jahre lang auf Grund
ihres Titels die Geschicke des mittleren Europa zu bestimmen unternahmen.
4. Vierzehn Jahre regierte Karl nach der Annahme des Kaisertitels
noch sein ausgedehntes Reich. Rastlos sorgte er für feine Untertanen;