Dramatische Poesie
I. Die Tragödie.
231. Au» „Maria Stuart".
Trauerspiel von Joh. Christoph Friedrich von Schiller.
Dritter Aufzug.
Erster Auftritt.
Maria. Hanna Kennedy.
Kennedy.
Ihr eilet ja, als wenn Ihr Flügel hättet;
So kann ich Euch nicht folgen, wartet doch!
Maria.
Laß mich der neuen Freiheit genießen,
Laß mich ein Kind sein, sei es mit!
Und auf dem grünen Teppich der Wiesen
Prüfen den leichten, geflügelten Schritt.
Bin ich dem finstern Gefängnis entstiegen?
Hält sie mich nicht mehr, die traurige Gruft?
Laß mich in vollen, in durstigen Zügen
Trinken die freie, die himmlische Luft.
Kennedy.
O meine teure Lady! Euer Kerker
Ist nur um ein klein weniges erweitert.
Ihr seht nur nicht die Mauer, die uns einschließt.
Weil sie der Bäume dicht Gesträuch versteckt.
Maria.
O Dank, Dank diesen freundlich grünen Bäumen,
Die meines Kerkers Mauern mir verstecken!
Ich will mich frei und glücklich träumen.
Warum aus meinem süßen Wahn mich wecken?
Umfängt mich nicht der weite Himmelsschoß?
Die Blicke, frei und fessellos,
Ergehen sich in ungemess'nen Räumen.
Dort, wo die grauen Nebelberge ragen,
Fängt meines Reiches Grenze an,
Und diese Wolken, die nach Mittag jagen,
Sie suchen Frankreichs fernen Ozean.
Eilende Wolken! Segler der Lüste!
Wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!