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§ 3. Die Ägypter. Im Tale des Nils, unter dem Souneubrande
Nordafrikas, bestand schou vor sechstausend Jahren das Reich der Ägypter.
Die jährlichen Überfchruentmungen des gewaltigen Flusses verleihen dem
regenlosen Lande eine außerordentliche Fruchtbarkeit, und Ägypten galt den
alten Völkern als die Kornkammer der Welt. Es stand unter der Herrschaft
von Pharaonen, b. h. Königen, die unermeßlich reich waren?) Das ägyptische
Volk war in mehrere Stände oder Kasten geschieden; hochangesehen waren
die Priester und die Krieger, die Hirten gehörten zu der untersten Kaste. Die
fleißige und wohlhabende Bevölkerung pflegte neben dem Ackerbau vielerlei
Gewerbe; sie fertigte Geräte aus Metall, Ton und Glas und trieb Handel mit
fremden Völkern. Sehr entwickelt war schon die Arzneikunde.
Die Ägypter verehrten zahlreiche Götter. Viele Tiere, z. B. Katze, Kro¬
kodil und Schlange, galten als heilig, und der schwarze Stier Apis, das
Sinnbild des Ackerbaues, wurde sogar als Gott verehrt und von Priestern
bedient. Auch glaubte man an die Unsterblichkeit der Seele und an Lohn
und Strafe im Jenseits. Aber das Volk meinte, die Fortdauer der Seele hange
davon ab, daß der Leichnam erhalten bleibe; deshalb balsamierte man die
Toten ein, so daß sie zu unverweslichen Mumien eintrockneten, und barg sie
in Felsengräbern. Manche solcher Mumien werden noch heute gefunden. Von
der ägyptischen Schrift ist noch vieles erhalten. Sie war eine Bilder¬
schrift. Die Gegenstände wurden durch Bilder, sogenannte Hieroglyphen,
d. H. heilige Zeichen, dargestellt. Doch konnten diese auch Eigenschaften aus¬
drücken; z. B. bedeutete ein Löwe wohl den Mut, eine Elle die Gerechtigkeit,
eine Peitsche die Macht, eine Maus die Zerstörung. Gelehrte Forscher haben
die Schrift entziffert, so daß jetzt alle ihre Zeichen übersetzt werden können.
Sehr berühmt sind die Ägypter durch ihre Baukunst geworden. Am
Rande der Wüste errichteten ihre Könige riesige Pyramiden, ix H. Spitz¬
bauten. Diese umschlossen die königlichen Grabkammern; sie sind also eigent¬
lich ungeheure Grabmäler. Die meisten Pyramiden liegen bei dem jetzigen
Dorfe Gizeh (westlich von Memphis); die drei größten sind etwa 5000 Jahre
alt. Die älteste Pyramide, fast 150 m hoch, bedeckt einen Raum, ber doppelt
so groß ist wie bie Fläche ber Peterskirche in Rom, ber geräumigsten Kirche
ber Christenheit; zwanzig Minuten bauert es, bie riesige Steinmasse zu um-
wanbern. Hunberttaufenb Menschen sollen zwanzig Jahre an bem Bauwerke
gebaut haben. In seiner Nähe lagert, halb im Wüstensanbe begraben, ein
25 m hoher unb 50 m langer Steinkoloß, ber einen ruhenden Löwen mit
Menschenkopf, die sogenannte Sphinx, barstellt. Es ist bas gewaltigste
öteinbUb, bas Menfcheuhänbe geschaffen haben. Göttern unb Königen zu
Ehren wurden zahlreiche Obellsken, d.h. eigentlich Spieße, errichtet. Es
find gewaltige, aus einem einzigen Steine gehauene Spitzsäulen. Sie er¬
reichen wohl 50 m Höhe, sinb also höher als mancher Kirchturm. Einige
bieser Kolosse sind mit ungeheurer Mühe nach Lonbon, Paris, Rom unb
sogar nach Neuyork geschafft unb bafelbft aufgerichtet worben. Den Göttern
erbaute man ferner weitausgebehnte Tempel mit gewaltigen Torbauten,
Säulenhallen unb Höfen. In Trümmern liegen sie jetzt vor ben Augen ber
Menschen.
x) Gedicht: Lingg, „Mhcerin."
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