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dem Kopfe durch die Wand rennen wollen, werden bald spüren, daß die 
Wand härter ist als ihr Kopf; sie werden sich diesen entweder ganz eiu- 
rennen oder doch die Hörner abstoßen. Beides macht Schaden. 
Die allergewöhnlichste Höflichkeit kann sich jeder, auch im niedrigsten 
Stande, aneignen oder angewöhnen; er darf nur acht geben, wie es ge¬ 
bildete Leute machen, die z. B. kein fremdes Zimmer betreten, ohne erst 
anzuklopfen, nicht mit der Pfeife oder Zigarre im Munde jemand besuchen, 
Glicht unflätig in die Stube spucken, nicht beim Eintreten die Mütze oder 
den Hut aufbehalten n. s. w. Für die wohlthnendste Höflichkeit gegen 
groß und klein halte ich das schnelle Begreifen und feine Erraten, wie 
wir jeniand gefällig sein können, ohne daß er uns darum bittet. In 
diesem Sinne kann auch ein sonst rauher, derber Mann recht höflich sein. 
Ein Beispiel wird das verdeutlichen. In einer Nachbarstadt wurde einmal 
ein Kirchenkonzert abgehalten, bem ich auch beiwohnte; um einen Platz zu 
bekommen, ging ich zeitig dorthin. Die Kirche füllte sich bald so an, daß 
ein guter Platz nicht niehr zu haben war; endlich gab es gar keinen Sitz¬ 
platz mehr. Eine Menge junger Herrchen sah mit Neid auf mich, ja einer 
bot mir eine Mark für einen Sitz. Ich war aber ermüdet vom langen 
Wege, hielt für meine alten Glieder das Sitzen für zuträglicher als das 
Stehen und lehnte das Angebot kurz ab. Jetzt trat eine Frau in mittleren 
Jahren ein. Betrübt sah sie sich um, kein Plätzchen war mehr zu finden. 
Ich kannte sie nicht, dachte aber in meinem Herzen: „Dieser Mutter — 
sie hatte ein Mädchen bei sich — wird es ein Gefallen sein, wenn sie sich 
setzen kann." Freundlich nahm sie den Platz an, den ich ihr freundlich 
bot, und dankbar rühmte sie daheim ihrem Manne die Höflichkeit eines 
Unbekannten, wie ich später zufällig erfuhr. 
Wie oft hatte ich Gelegenheit, Fremden den Weg zu weisen! Was 
nützt das viele Beschreiben, dachte ich, du gehst selbst eine Strecke mit. 
Und wie dankbar freundlich nahmen es die Leute an und wollten gar 
nicht glauben, daß ein Mensch dem andern so hilfreich uneigennützige 
Dienste leisten könne! Was dann einer im Orte thut, das wird der ganzen 
Gemeinde zugerechnet, und die Fremden sagen daheim, und wohin sie 
sonst kommen: „In N. giebt es höfliche Leute wie nirgends!" Und bringt 
solche Höflichkeit auch keinen unmittelbaren Nutzen — denn wenn man sie 
sich bezahlen läßt, so ist es keine Gefälligkeit und Höflichkeit niehr —, so 
bringt sie doch Land und Ort in guten Ruf. Auch konintt wohl einmal 
eine Gelegenheit, bei der dir die Gefälligkeit unerwartet vergolten wird. 
So ging es mir z. B. mit der Frau, der ich beim Kirchenkonzerte meinen 
Platz abtrat. Ich hatte viele Jahre darauf in der Residenz in Gemeinde- 
angelegenheiten zu thun; dabei sollte und mußte ich mit der höchsten Landes¬ 
behörde selbst verkehren. Du lieber Himmel! Wenn unsereiner in eine 
so große Stadt kommt, sieht er den Wald vor lauter Bäumen nicht, weiß 
nicht, wo aus noch ein. Da stand ich auf der großen Schlvßstraße und 
gaffte die hohen Häuser an und sann, wie ich's anfangen sollte, um vor 
die rechte Schmiede zu kommen. Auf einmal ruft eine weibliche Stimme: 
„He, lieber Mann, was suchen Sie denn?" Ich sehe auf, und — 
wunderbar — es war die Frau von: Kirchenkonzerte. Ehe ich noch den 
Hut recht abgezogen hatte, stand schon ein Dienstmädchen neben mir, das 
mich einlud, hinauf ins Zimmer p kommen. Daß ich es kurz mache! 
Hier war ich an die rechte Schmiede gekonnnen. Der Mann der Frau
	        
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