Das karolingische Staatswesen. II. Die Reichsversammlungen. 587
den angeseheneren und hervorragenderen Räten abgehalten. Auf derselben ver¬
handelte man über die Angelegenheiten des folgenden Jahres, Avenn Dinge Vor¬
lagen, für welche es nötig war, im voraus Beschlüsse zu fassen oder Mafsregeln
zu treffen. So hatte sie z. B. darüber zu beraten, was nach Ablauf eines von
den Markgrafen mit den Nachbarn abgeschlossenen Waffenstillstandes geschehen
solle,1 ob derselbe erneuert oder als beendigt angesehen werden sollte; auch
hatte sie auf Mittel und Wege zu sinnen, wie am besten im Innern die
Ruhe aufrecht erhalten bez. wiederhergestellt werden könne, falls ein Angriff
von aufsen drohte oder nach irgend welcher Seite hin ein Kriegszug bevor¬
stand. 2 Die hier gefafsten Beschlüsse waren geheim zu halten bis zur
nächsten allgemeinen Versammlung, einmal damit der Ausführung von keiner
Seite her ein Hindernis entgegengesetzt werde, dann um zu verhüten, dafs die¬
jenigen Grofsen, welche der kleineren Versammlung nicht beigewohnt hatten,
sich beleidigt fühlten, und schliefslich, um der Sache die Gunst des Volkes da¬
durch zu sichern, dafs der Beschlufs als erst unter Beirat und Zustimmung
der Gesamtheit gefafst erschien.
Die allgemeine Versammlung, deren Hinkmar an erster Stelle gedenkt,
entspricht dem Märzfeld der Merowingerzeit; hatte sich in der früheren Zeit
hier die Gesamtheit des waffenfähigen Volkes der Freien versammelt, so war
doch infolge der wachsenden Ausdehnung des Reiches die Zusammenkunft des
gesamten Volks unmöglich geworden. Nur in Austrasien erhielt sich die Ge¬
wohnheit, jedoch mit der Abänderung, dafs nur die Beamten und die Grofsen
mit dem König zur Beratung der das Reich betreffenden Angelegenheiten
zusammen traten (Waitz II, 2, 235 ff., III, 558). Pippin verwandelte das
Märzfeld in ein Maifeld (s. Annalen, Abt. II, 1, 9 zu 755a) wie es scheint,
hauptsächlich aus militärischen Gründen, wie denn überhaupt der militärische
Charakter dieser Versammlungen vornehmlich in der ersten Hälfte der Regierung
Karls d. Gr. besonders scharf in den Vordergrund tritt.3 Auch der Name
‘Maifeld’ blieb (Waitz in, 562 n. 1), wenngleich Karl d. Gr. sich an den
Monat nicht band, sondern je nach Bedürfnis die Reichsversammlung auch im
Juni, Juli oder August zusammenrief.4 Doch sind neben campus Madius, Magis-
campus noch andere Bezeichnungen im Gebrauch, wie (populi) conventus mit oder
werden kann, die Darbringung der jährlichen Geschenke eben auf der allgemeinen Versammlung statthatte, vgl.
Waitz a. a. 0., Prou 75 n. 1.
1) Von einer Berechtigung der Markgrafen, dergleichen Verträge abzuschliefsen, erfahren wir allein aus
dieser Stelle Hinkmars.
2) So verstehe ich die dunklen Worte: iuxta caeterarum partium imminentibus rixa et pace etc., s. o.
S. 586 n. 1. Ganz mifsverstanden hat dieselben Prou 77.
3) Vgl. besonders Lezardiere, Theorie des lois politiques I, 118 if. 572 ff., Waitz III, 565 ff.
4) Vgl. die von Prou 72 n. 1 gesammelten Stellen aus den Geschichtschreibern und Kapitularien und
Lezardiere I, 533 ff.