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Anhang.
Zwang yon den königlichen Beamten zur Erfüllung der Leistungen und Fronden
angehalten werden konnten, die sie als Unterthanen dem Könige schuldig waren;
dem Grundherrn blieb es überlassen, diese Leistungen für den Königsdienst zu
fordern.1 Oberster Zweck dieser immunitas ab introitu iudicum war, von den
dem Dienste Glottes geweihten Stätten störendes Geräusch bez. Gewalttätig¬
keiten fernzuhalten, welche oft genug mit der Ausübung der richterlichen Ge¬
walt durch den Grafen verbunden waren. Sie berührt sich in ihrer Entstehung
auf das engste mit dem den christlichen Kirchen von alters her zugestandenen
Asylrecht, das sich nicht blofs auf die Kirche selbst, sondern auch auf einen
kleinen Platz um dieselbe erstreckte.2 In den Privilegien der fränkischen Könige
erhielt dann der Begriff der Immunität eine weitere Ausdehnung. Denn sie
gewährten die Immunität nicht allein für die curtes und villae der Kirche,
d. h. ‘für die eingehegten Höfe im Gegensatz zum uneingefriedeten Ackerland’,3
sondern sie dehnten dieselbe auch auf die offnen Feldfluren aus, so dafs das
ganze der Kirche gehörige Gebiet vor den direkten Eingriffen der weltlichen
Gerichte geschützt wurde. Doch erhielt sich die Erinnerung an den Ursprung
der Immunität aus der von alters her üblichen Freiung des Kirchplatzes darin,
dafs die hohe auf Verletzung der Immunität gesetzte Bufse von 600 Solidi nur
durch den Einbruch in das eingefriedigte Land verwirkt ward, während ein
Übergriff auf offner Flur milderer Beurteilung unterlag.4 Seit dem neunten
1) Heusler 20.
2) Gegen diese Ansicht Heuslers erklärt sich Lüning II, 731 n. 1; gleichwohl hat sie viel Wahr¬
scheinliches.
3) Heusler 22.
4) Vgl. "besonders die Urk. Ludwigs d. Fr. für das Kloster Aniane vom 24. März 822, Miihlbacher
727. Bereits Karl d. Gr. hatte unter dem 27. Juli 792, Mühlbacher 309, dem Kloster Immunität verliehen,
und Ludwig d. Fr. hatte am 24. Apr. 814, Mühlbacher 505, die Urkunde seines Vaters bestätigt. Obwohl
nun die Freiung von dem weltlichen Eichter sich auf die loca vel agri seu reliquae possessiones ausdrücklich
nach dem Wortlaut der Urkunde erstreckte, erhob sich doch 822 ein Zweifel darüber, wieweit der durch die
Bufse von 600 Solidi besonders geschützte Immunitätsbezirk reiche. Das Immunitätsprivileg hatte Klosterleute
nicht vor Anfeindungen und Übergriffen der königlichen Beamten sichern können, weil diese behaupteten, non
plus immunitatis nomen complecti quam claustrum monasterii, cetera omnia, quamvis ad ipsum monasterium
pertinentia extra immunitatem esse. Auf die Klage des Abtes Tructesind entschied nun Ludwig d. Fr., non
solum ad claustrum monasterii vel ecclesias atque atria ecclesiarum immunitatis nomen pertinere, verum etiam
ad domos et villas et septa villarum et piscatoria manufacta vel quidquid fossis vel sepibus aut alio clusarum
genere precingitur, eodem immunitatis nomine contineri. Ita quidquid intra huiusmodi munimenta ad ius cuius-
libet monasterii pertinentia a quolibet homine nocendi vel damnum inferendi causa spontanea voluntate commit-
titur, in hoc facto immunitas fracta esse iudicatur. Quod vero in agro vel campo aut silva, quae nulla munitione
cinguntur, casu, sicut fieri solet, a quibuslibet hominibus commissum fuerit, quamvis idem ager vel campus aut
silva ad ecclesiam praeceptum immunitatis hahentem pertineat, non tarnen in hoc immunitas fracta iudicanda est.
Et ideo non 600 solidorum compositione (vgl. cap. legibus add. c. 2 Leg. S. II, I, 113: Si quis in emunitatem
damnum aliquid fecerit, DC solidos componat), sed secundum legem, quae in eo loco tenetur, multandus est is,
qui fraudem vel damnum in tali loco convictus fuerit fecisse. Praecipimus tarnen vohis, ut (tarn) vos (der Erlafs
richtet sich an die öffentlichen Beamten der Provence, Septimaniens und Aquitaniens) ipsi caveatis et observe-
tis, quam iuniores et ministeriales vestri, ut homines et famuli memorati monasterii in omnibus locis ad
vestra ministeria pertinentibus pacem haheant et eis liceat cum securitate memorato monasterio deservire tarn in
privatis quam in publicis et communibus locis (Bouquet VT, 256, auch bei Bened. Lev. I, 279 Leg. U, 2, 61,
doch unvollständig); vgl. zu dieser Urk. besonders Waitz IV, 309 ff. und Heusler 24 f.