Full text: Annalen des Deutschen Reichs im Zeitalter Heinrichs V. und Lothars v. Sachsen (Abt. 3, Bd. 2, Hälfte 2)

Die deutsche Reichsverfassung unter den sächsischen und salischen Herrschern. 753 
6 Wochen nach dem Grafending gehalten worden zu sein scheint und die dort 
nicht erledigten Klagen aburteilte. 
Aus dem Grafschaftsverbande gelöst waren zunächst die königlichen 
Güter. Ihre Hintersassen hatten weder ihre hohe noch ihre niedere Gerichts¬ 
barkeit bei dem Landrichter. Diese lag königlichen Schultheifsen oder Meiern 
ob, jene wurde einem Yogte übertragen, der gleich dem Grafen den Königs- 
bann hatte und nach .Landrecht urteilte. Die Vogtei erhielt häufig ein Graf 
aus der Nachbarschaft, der sie dann in gleicher Weise wie sein Grafenamt 
verwaltete. In diesen Reichsvogteien haben die Ministerialen zuerst eine be¬ 
deutende gerichtliche Stellung erhalten, da es hier ja keine Vollfreien gab 
(Schröder S. 550 f.). 
Seit dem 10. Jahrh. erhielten die geistlichen Grundherrschaften ebenfalls 
die volle Gerichtsbarkeit nach dem Muster der Königsgüter. Alle in Abhängig¬ 
keit von einem mit Immunität begabten Stift stehende Freien waren bereits 
der niederen Gerichtsbarkeit der Reichsbeamten entzogen. Durch die ottonischen 
Privilegien (s. 0. S. 735) wurden die Grafenrechte den Grundherren übertragen. 
Auch hier ist es ein Vogt, der an Stelle des Grafen tritt. Er wurde von dem 
Vorsteher des Stiftes ernannt; dabei findet sich auch eine Mitwirkung von Stifts¬ 
genossen oder Untergebenen erwähnt, die aber wohl kaum rechtliche Formen 
gehabt haben wird (Waitz VII, S. 325). Der Vogt gehörte meist einem an¬ 
gesehenen Geschlecht der Gegend an; oft wurden die Kirchenvogteien auch 
Herzögen und Grafen übertragen, sogar der König hat solche Ämter bekleidet 
(ebenda S. 339). Die hohe Vogtei wurde häufig auch auf Vollfreie ausgedehnt, 
die von grundhenschaftlichen Gütern umgeben waren, was der Verleihung der 
Grafschaft selbst gleichkam (Schröder S. 550). 
Die hohe Gerichtsbarkeit ist auch weltlichen Grundherren übertragen 
worden. Aber hier blieb doch die einfache Immunität, die aufser der niederen 
Gerichtsbarkeit nur die Polizei Verwaltung gewährte, vorherrschend. Diese wurde 
von den Beamten des Herren ausgeübt. 
Eigenleute wurden von ihren Herren gerichtet. Doch war ihnen in 
manchen Fällen die Berufung an das Landgericht freigegeben. Die Ministe¬ 
rialen fanden für ihre inneren Angelegenheiten Recht vor dem Dienstgericht, 
das ihr Herr mit Urteilern aus ihrer Genossenschaft abhielt (Schröder S. 568). 
Ebenso waren für Streitigkeiten in Lehnssachen die Lehnsgerichte zuständig, 
in denen jeder Lehnsherr über seine Vasallen urteilte, und von denen Berufung 
immer an den Oberlehnsherrn ergehen konnte (ebenda S. 567). Die Entwick¬ 
lung der Stadtgerichte ist oben berührt (s. 0. S. 749). 
Eine starke Steigerung hat in unserer Periode die Bedeutung der geist¬ 
lichen Gerichte erfahren. Die schon im 9. Jahrh. entstandenen Sendgerichte 
Richter, Annalen d. deutsch. Gesch. im M.-A. III, 2. 40
	        
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