Full text: Geschichte der Neuzeit (Teil 3)

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Dritte Periode der Neuzeit. 
zweiten sich die Reichs stände untereinander: Adel und Geist¬ 
lichkeit forderten, daß jeder Stand für sich berate, um die Bürgerlichen 
überstimmen zu können. Auf den Antrag des talentvollen aber sittlich 
verdorbenen Grafen Mirabeau, welcher sich seiner Standesvorrechte 
begeben und einen Tuchladen gekauft hatte, um als Glied des dritten 
Standes für den Reichstag gewählt werden zu können, ersuchten 
jedoch die Abgeordneten des Bürger- und Bauernstandes die Geist¬ 
lichkeit, im Interesse des Friedens gemeinschaftliche Sache mit ihnen 
zu machen. Nach einigen Wochen traten mehrere Mitglieder der 
niederen Geistlichkeit in die Versammlung des dritten Standes ein. 
Diese erklärte sich am 17. Juni auf den Antrag des Abbe Sieyes 
zur Nationalversammlung und beschloß, daß sämtliche bis¬ 
herigen Steuern nur bis zum Tage der Auflösung der Nationalversamm¬ 
lung entrichtet werden sollten, aber länger nicht. Der Adel riet dem 
Könige, den Sitzungssaal zu schließen; doch das half wenig. Aus 
den Antrag des Pariser Arztes G u i l l o t i n begab sich die National¬ 
versammlung, als sie die Thüren ihres Lokals verschlossen fand, 
unter ihrem Präsidenten B a i l l y in das B a l l h au s und verpflichtete sich 
eidlich, nicht eher aus einander zu gehen, als bis eine neue Ver¬ 
fassung gegeben sei. Der König verlangte zwar noch einmal, 
daß jeder Stand für sich zusammentreten und beraten solle, allein 
die Nationalversammlung, welche sich durch den Übertritt von 149 Geist¬ 
lichen und 47 Adeligen gehoben fühlte, fügte sich auf Mirabeaus 
Antrag dem königlichen Gebote nicht mehr. Ja, als Ludwigs XVI. 
Hofzeremonienmeister, der Marquis von Breze, die Nationalversamm¬ 
lung an den Befehl des Königs erinnerte, erhob sich Graf Mirabeau 
und rief mit donnernder Stimme: „Sagen Sie Ihrem Herrn, daß 
wir durch die Gewalt des Volkes hier sind, und daß man uns von 
hier nicht anders fortbringt, als durch die Gewalt der Bajonette." 
Jetzt gab der König nach und befahl, daß die Kammern des Adels 
und der Geistlichkeit sich mit dem dritten Stande vereinigen möchten. 
Am folgenden Tage erschienen alle Adeligen in der Nationalver¬ 
sammlung. 
Erstürmung der 23et stille. Allein das öffentliche Vertrauen 
war bereits gewichen; das Volk glaubte böswilligen Verleumdungen, 
welche des Königs eigener Vetter und größter Feind, der Herzog 
von Orleans, über dessen Absichten ausgestreut hatte, und beging 
jetzt mancherlei Unfug in den Straßen von Paris. Das Ein¬ 
rücken einiger Regimenter und die Entlassung Neckers benutzte der 
Advokat Camille Desmoulins, das Volk zur Empörung zu
	        
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