fullscreen: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

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III. Tages- und Jahreslauf, Fleiß und Frömmigkeit. 
ihm von der Hinterlassenschaft der Eltern zu teil geworden war, zu Rat’’ 
und vermehrte es nach und nach durch eigenes Ersparnis, indem er 
fleißig arbeitete und eingezogen lebte. Anfänglich ging es hart und lang¬ 
sam. Aber sein Sprichwort: ,,IVas nicht ist, kann werden,“ gab ihm 
immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging es besser. Er wurde durch 
unverdrossenen Fleiß und Gottes Segen ein reicher Mann und ernährt 
jetzt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu 
beißen und zu nagen hat. Hebel. 
68. Wie es Dberlin mit den arbeitsscheuen 
Bettlern machte. 
Oberlin war Pfarrer zu Steinthal im Elsaß und ist eilt Mann 
gewesen nach dem Herzeil Gattes. Er hat eine barmherzige Seele für 
das arme Volk gehabt und gemeint, ehrliche Schwielen in der Hand 
und ehrlicher Schweiß im Angesichte seien ein rechter Ehrenschmuck 
für ein Menschenkind. Und wer davon nichts wissen wollte, sondern 
lieber fett werden von der sauren Mühe der andern, dem ist es hart an 
den Leib gegangen. So hatte Gott seinem Kriege wider die Faulheit 
und Liederlichkeit in seiner Gemeinde zunr Siege verholfen. Da sah 
lnai: wohl arme Seilte, aber fleißige und keine Bettler. Desto mehr 
Bettelsäcke kamen jetzt von draußen nach Steinthal. Wenn nun ein 
Mensch kam, schwach und krank oder mit greisen Haaren, denl man's 
ansieht, er kann nicht mehr, oder er kann noch nicht — und streckte seine 
zitternde Hand aus mit Seufzen, man möchte doch um Gottes willen 
was hineinlegen, sollst wär's am End' — so einer ging allemal 
getröstet und beschenkt von Oberlins Haustür hinweg. Wenn aber 
einer kam in den kräftigen Jahren, von gesunden ©liebem und mit 
starken Knochen und klopfte mit dem Bettelstock an die Tür, dann 
fragte ihn der Oberlin: „Lieber Freund, warum arbeitest du nicht?" 
lliib so der Bettelsack die Antwort gab: „Ich finde nicht Arbeit," 
wußte Oberlin alsbald Rat und erwiderte: „Herein, mein Lieber, du 
sollst haben; drill im Hofe liegt ein Häuflein Steine, pack frisch zu 
und trag' sie weg an beit Ort, den ich dir zeigen will! Alsdann sollst 
du Lohn haben." 
Aber siehe, am öftesten, wenn er itcxf) nicht fertig war mit dieser 
Rede, machten die faulen Bettelsäcke kehrt und zogen ab mit verdrie߬ 
lichem Gesichte, weil man sich beim Steintragen bücken muß, und das 
wird einem sauer. Hub sie ließen sich fürder nicht mehr in Steinthal 
sehen. Nur wenige ließen sich bereit finden, im Schweiße ihres An¬ 
gesichts ein Almosen zu verdienen. 
Nun versteh': die Steckte in Oberlins Hof sind Probiersteine ge¬ 
wesen, darin sich sollte die Arbeitslust oder Arbeitsscheu der Bettler 
ans Licht stellen. Und sie wurden auch für viele Faulenzer und 
Bettler von Beruf Stellte des Anstoßes und ihrer eigenen Schande, 
für etliche aber auch Edelsteine; denn eilt verdienter Lohn hat 
einen edlen Wohlgeschmack und reizt das Herz, um weiter zu suchen 
und zu sinnen, wo und wie sich fürderhin — nicht aus Bettelfahrten,
	        
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