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Und das deutsche Volk? Es sah in stumpfer Teilnahmlosigkeit das 
deutsche Reich gestürzt, das Vaterland zerstächt, die Grenzen geschmälert. 
Das Unglück, seit Jahrhunderten kein Vaterland gehabt zu haben, ward 
nun schmerzlich an ihm offenbar. Aber noch schien das niemand zu 
fühlen. Es bedurfte noch härterer Schläge, und Bonaparte ward die eherne 
Geissei in der Hand Gottes, um sie reichlich über uns zu verhängen. 
Nach Büscher, ftrönings u. Dav. Müller. 
114. |)te Reformen des preußischen Staates unter 
Ariedrich Wilhelm III. durch den Areißerrn von Stein. 
Der Friede zu Tilsit nahm Preußen alle Länder westlich der Elbe. Es 
behielt nur 157 850 qkm mit 4 560 000 Einwohnern, wodurch es zu einer 
Macht dritten Ranges herabsank. Aber das Unglück erwies sich als der beste 
Arzt, es deckte die Schäden ans und predigte Besserung. Die Not der Zeit 
zwang auch die Widerstrebenden zu dem, was allen am meisten gebrach, zur 
Selbsterkenntnis und zu der Einsicht, daß es nur besser werden könne, wenn 
man selber besser werde. 
Eine durchgreifende Reform des ganzen Staates war notwendig, Reform 
war die Losung aller und keiner fühlte dies lebhafter als der König selbst. 
Er wurde darin auf das nachhaltigste unterstützt durch seine hochherzige Gemahlin, 
die Königin Luise. „Es wird mir iunner klarer" — so schrieb sie in dieser 
Zeit an ihren Vater, den Herzog von Mecklenbnrg-Strelitz — „daß alles so 
kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unver¬ 
kennbar neue Weltznstände ein und es soll eine andere Ordnung der Dinge 
werden, da die alte sich überlebt hat und als abgelebt in sich zusammenstürzt. 
Wir sind eingeschlafen ans den Lorbeeren Friedrichs des Großen, welcher, 
der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben 
nicht fortgeschritten und deshalb überflügelt sie uns. Von Napoleon können 
wir vieles lernen, und es wird nicht verloren sein, was er gethan und aus¬ 
gerichtet hat. Es wäre Lästerung zu sagen: Gott sei mit ihm; aber 
offenbar ist er ein Werkzeug in des Allmächtigen Hand, um das Alte, welches 
kein Leben mehr hat, das aber mit den Außendingen fest verwachsen ist, 
zu begraben." 
Die Umbildung des Staates ging denn auch bald mit raschen Schritten 
vor sich. Dem König war nur das Land zwischen Weichsel und Pregel 
frei geblieben und er hielt sich in seiner äußersten Grenzstadt Memel aus. 
Von hier aus geschah der wichtige Anfang der Umgestaltung aller innern 
Verhältniffe. 
Der König fing die Reform bei sich selber an. Er schränkte den eigenen 
Haushalt auf das allernotwendigste ein. Er lebte in Memel wie ein Privat¬ 
mann, in einfachen, beschränkten Zimmern, auf frühere Beqnenllichkeit und 
Genüsse ruhig verzichtend. Die Mittagstafel war in so hohem Grade einfach, 
daß alle, die zugezogen, versicherten, man habe zu dieser Zeit an Bürger¬ 
tischen besser gespeist. Man aß von irdenen Schüsseln und Tellern wie 
früher von goldenen. Das kostbare, ganz goldene Tafelgeschirr, das Erb¬ 
stück der Ahnen, auch was an Silbergeschirr irgend entbehrlich war, wurde 
in Holland für 4*/2 Milt. Mark verkauft, um einen Teil der Kriegsstener 
an Frankreich zu bezahlen. Die ruhige, gefaßte Würde des Königs, die herab¬ 
lassende. mildthätige, herzerquickende Freundlichkeit der Königin mit ihren
	        
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