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Mitteleuropa.
Vorzügliches leistet der Gewerbefleiß in Luxuswaren, da die mühsame. Geduld und
Ausdauer nicht minder als Kraft fordernde Ausbeute der Rohstoffe den Franzosen weniger
zusagt als ihre kunstmäßige Verarbeitung. Unübertroffen ist das Kunstgewerbe der Haupt¬
stadt des Landes, und die sogen. „Pariser Artikel" gehen, gleich der Seide von
Lyon, dem Ol aus der Provence und den Weinen durch die ganze Welt.
Durch seine halbinselartige Lage, durch die vielfältigen Kanalverbindungen, durch ein
großartig entwickeltes Bahnnetz ist Frankreich auch im Handel wichtig. Den Mittelpunkt
bildet Paris; denn von diesem großen Bahnknoten strahlen nach allen Richtungen die
Bahnen, deren wichtigste nach Köln, Straßburg, Belfort-Basel, Dijon-Mont Cenis-Genua,
Lyon-Marseille, Bordeaux-Madrid, Nantes, Brest, Rouen-Havre, Calais und nach Brüssel
gehen.
Nach dem Werte des Außenhandels bemessen, nimmt Frankreich die dritte Stelle in
Europa ein. Ausfuhr 1899: Wollgewebe und Wolle (183 Mill. Mb), Seiden¬
gewebe und Seide (361 Mill.), Wein (191 Mili.), Häute, Pariser Artikel (168 Mill.
Mk.). Einfuhr: Wolle (378), Seide und Seidengewebe (222), Wein (238), Kohle
<209), Holz, Baumwolle, Häute, Ölsamen, Getreide. Nach dem Tonnengehalte ist die
franz. Handelsflotte die 5. der Erde. Bei annähernd gleicher Gebietsgröße besitzt
Frankreich 8000 km Eisenbahnen weniger als das D. R., dann zwar weit mehr Ka¬
näle, aber viel weniger gute Flußstraßen als dieses. Im Außenhandel steht Gro߬
britannien an 1., die Kolonien an 2., das D. R. an 4. Stelle.
Geschichte. Die keltischen Gallier, Frankreichs älteste Bewohner, lange Zeit
ein Schrecken der Römer, wurden von Julius Cäsar unterworfen und durch die zahl¬
reich einwandernden Römer, die ihnen ihr Recht, ihre Sitte und Sprache brachten,
romanisiert. Aber auch nach dem Eindringen der an Zahl schwachen germanischen Stämme,
der Burgunder:, Westgoten, Franken und Normannen, von denen die Franken
die alleinigen Herren des Landes wurden, bewahrte die Bevölkerung die gallische Eigen¬
art des Charakters k Ihr (wenn auch durch die höhere Gesittung der Gegenwart gemil¬
dertes) Abbild sind im wesentlichen ihre Nachkommen, die heutigen, leicht auffassenden
und geschickt nachahmenden, bis zur äußersten Leichtfertigkeit geistig beweglichen, rede¬
gewandten, im politischen Leben durch unversöhnliche Gegensätze zerrissenen Franzosen,
die, von äußerst lebhaftem Nationalgefühl erfüllt, im Kriege, besonders beim Angriffe,
tapfer, der zähen Nachhaltigkeit und der besonnenen Ruhe entbehren. Ihre wirtschaft¬
liche Stärke wird bedingt durch ihre ungemeine Sparsamkeit und Mäßigkeit.
Losgelöst aus dem Reiche Karls des^Großen (843), geriet das westfränkische Reich
in Verfall und blieb im Mittelalter vielfältig zerrissen; nachdem aber das Königtum
allmählich erstarkt war, richteten sich in der Neuzeit die geeinigten Kräfte des Landes
siegreich nach außen. Auf Kosten Spaniens, Deutschlands und Italiens wurden bis in
die neueste Zeit die Grenzen erweitert, ja dem Corfen Napoleon I. war es vorbehalten
weitaus die meisten Länder Europas seinem Willen zu unterwerfen; bis an die Ostsee
und das türkische Reich erstreckte sich unter ihm die französische Herrschaft, so daß Lübeck
eine französische Stadt und das Adriatische Meer so gut wie ein französischer Binnensee
war. Nicht minder groß war der Einfluß, den Frankreich seit Ludwig XIV. auf das
übrige Europa im Staatsleben, durch wissenschaftliche Forschungen und durch Verbreitung
neuer Anschauungen, politischer Gedanken, Einrichtungen und Moden ausübte; erst seit
dem Kriege von 1870/71, der Frankreichs ö. Grenzen bedeutend einschränkte, hat dieser
maßgebende Einfluß nachgelassen.
Die Hauptmasse der Bevölkerung (gegen 35 Mill.) gehört dem eigentlichen
französischen Misch-Stamme an, hervorgegangen ans keltischen, römischen und
germanischen Volksteilen. Überreste der alten keltisch eit Bevölkerung mit ihren
Eigentümlichkeiten in Sitte und Sprache finden sich noch bei den Bre tonen
(1,3 Mill.) in der Bretagne, Reste der Iberer bei freit Basken in den West-
Pyrenäen. Deutsche am zahlreichsten in Lothringen, Flamen gegen die
belgische Grenze hin, Italiener auf Corsica, in Nizza, zum Teil auch in
Savoyen. 1 Mill. Fremde.
i Cato, Orig. : »Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur, rem militarem
et argute loqui.« — Caesar: »Semper rerum novarum studiosi.«