Full text: Lehrbuch der Geographie für die mittleren und oberen Klassen höherer Bildungsanstalten sowie zum Selbststudium

102 Buch III. Allgemeiner Theil der historischen Geographie. 
Bande von Gauchos, die auf kurze Zeit das Uebergewicht über die 
anderen erlangt. 
Im Uebrigen hängt der Charakter eines Hirtenvolkes wesentlich von 
der Natur seiner Heerdenthiere ab. Welcher Gegensatz zwischen den 
friedlichen Rennthierhirten, den Lappen und Tungnsen in Europa und 
Nordasien, oder den Kirgisen, deren Hauptreichthum in Schafen besteht, 
gegen die Mongolen und Araber, denen die Kraft und Schnelle ihrer 
Heerdenthiere, des Pferds und des Kamels, Kriegs- und Raubzüge so 
leicht macht! Die Einführung des Pferdes in Amerika hat daher hier 
bei deu Indianern ein Nomadenthum hervorrufen können, dessen letzter 
Zweck Raub und Krieg ist (Komantschen in Nordamerika, Pehueltsches 
in Südamerika). Gegenwärtig schränkt sich das Gebiet der Nomaden¬ 
völker langsam mehr und mehr ein, indem dieselben zum seßhaften Leben 
übergehen. Südrußland z. B., im Alterthum von den nomadischen 
Skythen bewohnt, ist jetzt größtenteils ein Land seßhafter Bevölkerung. 
Eine bei weitem höhere Stellung als die Nomaden nehmen im 
Allgemeinen die ackerbautreibenden Völker ein, jedoch nicht überall. 
Wo wie in manchen Tropenländern, eine wenig dichte Bevölkerung 
wohnt, die, wenn die Fruchtbarkeit des Bodens erschöpft ist, sich leicht 
nach einer anderen noch unbebauten Stelle wendet, wo zugleich, wie 
r B bei der Zucht der Banane oder der Sagopalme, die ganze Arbeit 
des Ackerbaus im Säen und Aernten besteht, da kann mit der Betrei¬ 
bung des Ackerbaus dennoch die größte Unkultur und ein umherschweifendes 
Leben verbunden fein. Selbst unsere germanischen Vorfahren scheinen 
ursprünglich noch ein halbes Wanderleben geführt zu haben, indem sie 
an immer neuen Stellen den Boden beackerten. — Bald aber wird 
die Bevölkerung dichter, und es wird ihr unmöglich, stets Neubruchs¬ 
land zu erhalten. Dann muß sie durch künstliche mechanische Bearbei¬ 
tung des Bodens (Pflügen) und Düngen seine Fruchtbarkeit zu erhalten 
suchen und bedarf dazu der Kraft der Hausthiere, denen nun erne 
sorgfältigere Pflege gewidmet wird. An anderen Stellen wird es noth¬ 
wendig, den Boden künstlich zu bewässern, oder die natürliche Bewässe¬ 
rung desselben (Nil, Ganges) zu regeln, oder das reiche Marschland vor 
Überschwemmungen zu schützen (China). Dazu kommt noch, daß die 
meisten Culturpflanzen an und für sich einer großern Pflege bedur.en, 
als i. B. jene oben genannten fast wie wild wachsenden Tropenpflanzen. 
Ein so bearbeitetes Feld erhält durch solche Arbeit einen hohen Werth; 
somit nimmt das Schweifen und Wandern ein Ende, es entstehen feste 
Ansiedlunaen. die allmählich ein immer dichter werdeni.es Netz bilden. 
Dann gewöhnt der regelmäßig betriebene Ackerbau, indem er ren Men¬ 
schen m stets erneuerter Arbeit antreibt und zum aufmerksamen Beob¬ 
achter der Natur macht, zugleich an eine geregelte Anordnung. dees Lebens, 
an Achtung vor dem Eigenthum, an gemeinschaftliches Handeln, 
überhaupt an die Grundlagen einer gesetzlichen Verfassung. Es zieht 
ein eigenthümlicher Geist der Ruhe, der aber nicht cm Geist der Träg¬ 
heit ist, bei ihm ein. Dies durch die Natur gebotene gemeinschaftlich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.