Gezeiten. — Die Atmosphäre.
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und Fliehkraft bestimmte Form annehmen. Da sie jedoch aus beweglicher Masse
besteht, so kann sie durch eine dritte Kraft leichter aus ihrer Ruhelage heraus¬
gerissen werden. Eine solche geht von Sonne und Mond aus. Die Teilchen der
Wasserhülle, die dem Monde und der Sonne am nächsten stehen, werden
von diesen' Weltkörpern angezogen und müssen sich darum vom Mittelpunkte
der Erde entfernen. Diese Anziehung vermindert sich rings um die Erde, sie
äußert sich am geringsten auf der Gegenseite. Hier muß daher die Fliehkraft
stärker zur Geltung kommen. Sie wird die Wasserteilchen von der Erde fort¬
zuziehen suchen genau in demselben Maße, wie es auf der Gegenseite die An¬
ziehung des Mondes oder der Sonne bestrebt ist. Dadurch ändert sich die Gestalt
der Wasserhülle, sie schwillt zur Flut an auf den dem anziehenden Weltkörper
zu- und abgekehrten Seiten, während sie an den um 90° davon entfernten
Punkten zur Ebbe schwindet.
Infolge der Rotation umkreist daher zweimal täglich eine Sonnen- Ver-
und M o n d f 1 u t die Erde. Von beiden ist die letztere die größere; die gewaltige $dce'*'
Masse der Sonne tritt in der Wirkung hinter der des Mondes wegen dessen be- Fluten,
deutender Nähe weit zurück.
Stehen Sonne und Mond zusammen, so vereinigen sich ihre Wirkungen.
Zweimal im Monat bei Voll- und Neumond haben wir daher hohe, sogenannte
Springfluten. Zur Zeit der Quadraturen arbeiten sich die Anziehungen ent¬
gegen, es entstehen nur niedrige, taube oder Nippfluten.
Die Bewegung ist die einer großen Welle, deren Länge gleich dem halben Erd- Art
umfange ist. Sie erreicht im offenen Meere nur eine geringe Höhe von kaum 1 m. w^un®‘
Aber wenn die Wellenbewegung in ihrem Fortschreiten gehemmt wird, wenn sie
in flache enge Buchten und Kanäle eindringt, dann setzt sich der Verlust an
Bewegung in die Tiefe und Breite in eine solche nach der Höhe um. Die Flut steigt
dann zuweilen zu Höhen von mehr als 15 m auf. Auch entwickelt sich aus der
stehenden Wellenbewegung eine fortschreitende, die man als Gezeiten- Ge-
strömung bezeichnet. Diese bewegt sich in den Flußmündungen oft weit
stromaufwärts und kommt dort der Schiffahrt sehr zustatten.
Wenn die Erde gleichmäßig von Wasser umhüllt wäre, würde die Flut überall
zur selben Zeit bei der Kulmination des Mondes, also nach je 12 Stunden 25 Minuten,
eintreten. In Wirklichkeit sind die Meere aber nur breite, von Land begrenzte
Kanäle, bei deren Durchschreiten die Flutwelle ununterbrochen durch die wechselnde
Tiefe wie durch die Änderung des Küstenverlaufes beeinflußt wird. Zwischen der
Mondkulmination und dem Eintritte des Hochwassers bildet sich infolgedessen Ha*n_
ein Zeitunterschied, den man die Hafenzeit nennt.
Die Atmosphäre.
Die Atmosphäre umhüllt allseitig die Erde. Die Grenze dieses Luftozeans ist § 271,
nicht sicher ermittelt. Das Aufleuchten der Sternschnuppen, das durch die Höhi,<
Reibung fremder Weltkörper bei dem Eindringen in die Lufthülle der Erde bewirkt
wird, erfolgt etwa in einer Höhe von 200 km. Fast das gleiche Resultat ergaben die
Berechnungen für die Höhe der Polarlichter. Die Vorgänge, von denen die Er¬
scheinungen des Wetters bestimmt werden, vollziehen sich aber in weit
geringeren Höhen. Die höchsten Wolken erheben sich nur bis zu etwa
15 Tcm.