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Mit dem wachsenden Wohlstand aber und mit der schnellen
Entwickelung aller Künste, die mit dem Handwerk in unmittelbarer
Verbindung standen, gewann auch das Wohnhaus an Ausdehnung und
Behaglichkeit. In der Reihenfolge der Geschlechter ward es ein anderes
und blieb doch dasselbe; denn der Enkel baute init sorgsamer Schonung
das nur aus, was der Großvater gegründet hatte. So ward das Haus
im tiefsten Sinne Eigentum der Familie, d. h. der fortblühenden Reihe
von Geschlechtern, und so bekam es jenes eigentümliche Gepräge, das
zu dem Einerlei unserer numerierten Wohnhäuser im merkwürdigsten
Gegensatze steht. Noch zeigt uns Nürnberg eine Menge solcher mittel⸗
alterlichen Häuser. Sie sind auf das Zusammenleben der Familie
berechnet. Daher haben sie in der Regel einen großen, geräumigen
Flur für Warenlager usw. breite Treppen, große Gänge und am Hof
herumlaufende Galerien als Tummelplätze für die Jugend, große Familien⸗
zimmer. Die an den Decken hervortretenden Balken geben passende
Gelegenheit zu Zieraten. Einen außerordentlichen Reiz aber besitzt das
Haus in den vortretenden Erkern und Ecktürmchen, die, nach dem
Familienzimmer offen, als gemütliche Arbeits- und Plauderwinkel
dienen, nach außen aber durch ihre zierliche Gestalt, ihre Spitzdächer
und Gesimse zur heitern Belebung der Straßen beitragen. Hier ist
denn auch außen die reichste Steinmetzarbeit angebracht, innen Tafel—
werk und Holzschnitzerei, bemalt und vergoldet und mit bedeutsamen
Versen und Sprüchen geziert, und solch ein Erker erscheint dann am Hause,
wie der Chor an der Kirche, als das schmuckreichste Heiligtum
Am frühesten aber entwickelte sich die Pracht der Baukunst an den
öffentlichen Gebäuden. Denn zwischen Herden und Strohdächern erhoben
sich kunstvolle riesige Bauten, die Gemeindezwecken dienten, Rathäuser
und Kirchen. Je mehr sich der Wohlstand und das Behagen der Städte
im vierzehnten Jahrhundert steigerte, desto mehr wetteiferten sie, mit Stolz
zu zeigen, was Geld und Arbeit vermöge. Es bildeten sich enggeschlossene
Verbindungen der Baugewerkleute, namentlich der Maurer und der
Steinmetzen, die sogenannten Bauhütten, die allmählich zu förmlichen
Schulen der Baukunst wurden. Ihre Lehre war eine geheime, außer
den Mitgliedern durfte niemand die Hütte betreten. Aber aus dem
unglaublichen Wetteifer und dem uneigennützigen Zusammenwirken der
verschiedenen Baugewerke ging die Vollendung der gotischen Baukunst
hervor. Jede größere Stadt wollte ihren Dom haben. Da schien die
schwere Masse leicht und frei emporzusteigen; da wuchsen die Pfeiler
wie Bäume hervor und schlossen sich oben in spitzen Bögen ab, über
dem Dache aber wurden sie durch spitze, in die Wolken ragende Türme
fortgesetzt; die Fenster waren von ungeheurer Größe, aber das herein—
fallende Licht ward gemildert durch kunstreiche Glasgemälde; die Erhaben⸗
heit des Ganzen endlich barg sich in die reichsten und lieblichsten
Verzierungen der Steinhauerarbeit, so daß die Masse sich aus unermeßlich
vielen, gleichsam lebendigen Steingewächsen aufzubauen schien. Es
waren riesige Werke, berechnet auf die frommen Beiträge vieler nach
einander folgenden Geschlechter. Der Baumeister, welcher den Plan
entworfen hatte, sah wohl nie die Vollendung, ja, mit solcher Uneigen⸗