Die Reste des Wendentums. 353
Die wendischen Dörfer unterscheiden sich von den deutschen nicht bloß durch
ihre Kleinheit, sondern auch durch ihre ganze Anlage. Die ursprüngliche Form
der wendischen Dorfanlage, eine einzige zweizeilige Gasse mit der Kirche in der
erweiterten Mitte, ist zwar in vielen Orten verwischt; aber die dicht aneinander
gestellten Häuser, die den Giebel gegen die Gasse kehren, unterscheiden das
wendische Bauerndorf sofort von dem deutschen mit seinen weiten Gehöften.
Die alten Häuser haben nur ein Erdgeschoß und sind mit Stroh gedeckt. An
der dem Hofe zugekehrten Langseite des Hauses ragt das Dach weiter hervor als
an der andern. Der Flur des Hauses, der zugleich die Küche vorstellt, und die
Stube sind meist ohne Bretterdiele, nur mit einem Fußboden aus Lehm versehen.
Wo Rittergüter in den Dörfern vorhanden sind, befinden sich dieselben in
deutschen Händen; es gibt unter den Wenden keinen Adel. Es fehlt aber des-
wegen nicht etwa an einer Gliederung der Stände. Der Großbauer scheidet
sich stolz vom Halbhüfner, Gärtner und Häusler ab und wird wohl selten
einem von diesen letzteren seine Tochter zur Frau geben. Der Stand der Groß-
baueru ist besonders zahlreich in der Gegend des Klosters Marienstern zwischen
Bautzen und Kamenz vertreten; das väterliche Anwesen erbt bei ihnen merk-
würdigerweise nicht der älteste, sondern der jüngste Sohn.
Die Wenden sind meist lutherischer Konfession, nur in der Gegend des
Klosters Marienstern gibt es viele Katholiken. Die Zahl der letzteren macht
etwa ein Fünftel des ganzen Volksstammes aus.
Da die Wenden fast ausschließlich Ackerbau treiben, so sind sie meist ge-
suude, derbe und kräftige Gestalten, die beim Militär mit Vorliebe bei der
Reiterei eingestellt werden. Das ehemalige schöne sächsische Dragonerregiment
Prinz Johann bestand überwiegend aus Söhnen des Wendenlandes. Als Sol-
daten haben sie sich stets durch Tapferkeit hervorgethau; jenes alte Dragoner-
regiment führte selbst bei den Franzosen den Namen der „sächsischen Schlächter".
Die wendische Sprache ist der tschechischen und polnischen nahe verwandt,
und zwar der ersteren der oberlansitzische, der letzteren der niederlausitzische
Dialekt. Sie besitzt einen außerordentlichen Formenreichtum und klingt weniger
weich als die polnische und russische, aber lange nicht so rauh, als man nach
den vielen Konsonanten, die man in den gedruckten Wörtern sieht, vermuten
möchte; die vielen Zischlaute werden durch ein angefügtes j weicher gestaltet. Die
beiden Dialekte weichen sehr voneinander ab, und das ist ein Haupthindernis für die
gemeinschaftliche Pflege der Sprache, für welche in den letzten Jahrzehnten von den
Wenden selbst viele Anstrengungen gemacht worden sind. Im Jahre 1839 bildeten
die wendischen Gymnasiasten in Bautzen einen Verein mit dem Zwecke, sich im
Sprechen und Schreiben der Muttersprache zu üben, und 1846 wurde der
Bildungsverein Macica serbska oder serbische Mutterkasse gegründet, der sich
besonders die Pflege der wendischen Sprache und Litteratur zur Aufgabe gestellt
hat. Er hat ein wendisches Wörterbuch herausgegeben und sucht durch kleine
Schriften gemeinnützige Kenntnisse unter seinen Volksgenossen zu verbreiten,
ohne sie in ihrer Sprache zu beeinträchtigen. Der „wendisch-lutherische Bücher-
verein" und die katholische „Gesellschaft des heiligen Cyrillus und Methodius"
geben wendische Erbauungsbücher heraus. Für die Verbreitung wendischer
Schriften ist auch der ehemalige Kandidat und nachherige Buchhändler Schmaler
in Bautzen sehr thätig gewesen.
Deutsches Land und Volk. VII. 23