Brittisches Reich —
Englan d.
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alistalten zu unterstützen. Aber noch 1851 wuchsen 25,5 °/o aller Kinder in England
und Wales ohne jeglichen Unterricht ans; 1865 konnten bei ihrer Verheiratung 22,5%
der Männer und 32,2% der Fraueu ihren Namen nicht schreiben; in Norfolk u. a.
Grafschaften mußten sogar '/- der Männer, in Wales, Suffolk und Staffordshire über
7s, in Monmonthshire 38°/o ein Zeichen statt der Namensunterschrift machen. Ja
Dixon bewies vor einigen Jahren in den Meetings die Notwendigkeit eines energi¬
scheren Vorgehens durch die Angabe, daß iu London 200000, in England 2 Mill.
schulpflichtiger Kinder keinen Unterricht erhielten. Nach einer jüngsten Mittheilung
S. John Lubbocks im englischen Parlamente — April 1874 — haben von 2,235000
Kindern weniger als 50000 Unterricht in den sogen. Entrcgcgenftänden (Grammatik,
Geographie und Geschichte), da bis jetzt bloß „Lesen. Schreiben und Rechnen" als obli-
gate Lehrgegenstände gelehrt werden; nnd aus diesen 21/* Mill. Kindern waren bloß
14000 im Staude, mit Geläufigkeit und Ausdruck zu lesen, 11000 konnten einen kurzen
Brief oder die Paraphrase einer Erzähluug schreiben und nur 8000 hatten einen Begriff
vom Rechnen mit Brüchen. Bei solchen Zuständen der Schulbildung kann es freilich
nicht überraschen, daß in den Riesenstädten des Landes in den untersten Schichten un-
beschreibli.che Unwissenheit und Armut zu finden ist und daß hier „zwischen den Wun-
dern höchster Civilisation nnd des feinsten Luxus Horden von Wilden leben." — Was
die höhere oder gelehrte Bildung betrifft, so gibt es dafür sehr achtbare Anstalten
in England, namentlich die Colleges oder Gymnasien (zugleich Pensionate) zu Har-
row, Eaton, Westminster :c., die 2 alten Universitäten Oxford und Cambridge, und
die neuen zu Londou und Durham. Die zwei alten sind überaus reich dotirt; sie
haben beide für altklassische Studien, Philosophie nnd Mathematik viel geleistet; doch
ist gegenwärtig „die Beschäftigung damit rein äußerlich und ohne die Erfolge, die
man davon in Deutschland wahrnimmt." Sie sind eigenthümlich organisirt nnd u.
a. darin von unfern Hochschulen verschieden, daß sie nicht Theologen, Juristen und
Medianer liefern; das Studium der Brotwifseuschaften überlassen sie theologischen Semi-
narien, juristischen Inns of Court und großen Hospitälern. Die Londoner Universität
ist vorzüglich den Naturwissenschaften gewidmet, wie denn überhaupt diese und die
Nationalökonomie zur Zeit in England bevorzugter Pflege sich erfreuen; die Ueber-
schätzung des Besitzes, „der Götzendienst vor dem goldenen Kalbe"*) führte natürlich
dazu, auch in den Wissenschaften nur das hochzuschätzen, was dem praktischen Bedürf-
nis dient. — Abgesehen von dieser im englischen Volk gegenwärtig vorherrschenden
Neigung zum Materialismus und Utilitarismns steht die englische Nation in wissen-
schaftlicher Hinsicht ausgezeichnet da; ihre Literatur gehört zu den reichhaltigsten der
alten uud neuen Zeit. Als geborne Engländer (denn manche sind Schotten nnd Jr-
länder von Geburt) seien erwähnt: Die Philosophen Baco und Locke, die Geschicht-
schreiber Gibbon und Roscoe, die Dichter Shakespeare und Milton, der
Mathematiker Newton. Die Galerie berühmter Naturforscher und Entdecker ist groß.
2) Schottland (1433 d.M. 3,360000 Bew., 2345 auf 1 Q--M,).
Man unterscheidet gewöhnlich N i e d e r s ch o t t l a n d bis zum JsthmnS von Glasgow),
wo die englische Sprache herrschend wurde, vom Hochlande ^Caledonien oder Gale-
*) Roh med er, Ohne VaterlandSgeschichte :c. München, 1872.