Full text: Quellenlesebuch (Heft 5. Erg.-H)

13. Anfänge deutscher Städte. 
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bot, wodurch anderseits wiederum der Absatz der ländlichen Produkte vermehrt wurde. 
Schon im zwölften Jahrhundert war ferner eine überschüssige Bevölkerung auf dem 
Lande vorhanden. Sie fand Abfluß einmal durch die gerade jetzt kräftig einsetzende 
großartige Kolonisiemng und Germanisiemng des Slawenlandes. Sodann aber 
kam sie namentlich auch den Städten zugute. Weiter ist die vermehrte Ausnutzung 
des Bergbaues und der Salinen in Betracht zu ziehen; gerade ihr verdanken mehrere 
Städte, deren erste Entwicklung in diese Zeit fällt, ihr Wachstum. Zu diesen Momenten, 
die sich aus den innern Verhältnissen ergaben, trat die Einwirkung von außen hinzu. 
Die im Zeitalter der Kreuzzüge sich vollziehende Steigerung des Orienthandels, 
der hauptsächlich über Italien ging, bot zunächst dem südlichen und südwestlichen 
Deutschland, dann aber auch dem nördlichen, einen neuen Hebel sür die Entwicklung 
eines reichen, selbständigen Handels- und Gewerbslebens. Ohnehin wirkten der 
lebhafte Austausch zwischen Orient und Okzident in den Kreuzzügen sowie der Ver- 
kehr zwischen Deutschland und Italien unter den salischen und noch mehr der unter 
den staufischen Kaisern in der vorteilhaftesten Weise auf den Handel und das gesamte 
wirtschaftliche Leben ein. Die Zeitgenossen sind sich dieser Einwirkungen lebhaft 
bewußt gewesen; sie zählen auf, was sie Neues aus dem Orient erhielten. Im Norden 
vollzog sich ein Ereignis von noch unmittelbarerer Wirkung: eben jene Eroberung, 
Kolonisiemng und Germanisierung des Slawenlandes. Die Erfolge der sächsischen 
Fürsten über die benachbarten Slawenstämme, die Germanisierung slawischer Fürsten- 
samilien, die Niederlassung deutscher Ritterorden in Preußen und Livland, die Wand- 
rungen des deutschen Bauern bis zur Oder und Weichsel und über sie hinaus, die 
Erweiterung der deutschen Schiffahrt bis zum Finnischen Meerbusen — sie stellen 
die größte Erweiterung des deutschen Handelsgebietes dar. Denn nicht nur, daß 
die unmittelbar von Deutschen besetzten Landstriche sich dem deutschen Kaufmann 
öffneten; es bot sich Hm damit zugleich ein noch viel ausgedehnteres Hinterland: 
Polen, Rußland, die skandinavischen Länder. Auch England kam in Handelsabhängig- 
feit vom deutschen Kaufmann. Bereits im zwölften Jahrhundert machte sich hier der 
Einfluß des Niederrheins geltend; bald gesellte sich dazu der der ostdeutschen Städte. 
Wenn ein so gewaltiges Handelsgebiet hinzuerworben wurde, dann konnte es 
fürwahr nicht ausbleiben, daß das deutsche Städtewesen sich schnell und mächtig hob. 
Mit dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert beginnt die Zeit der Blüte des 
deutschen Städtewesens. Sie setzt sich bis ins sechzehnte fort. 
Ihrem wirtschaftlichen Charakter nach sind die Städte dieser Zeit mehr Handwerks- 
als Handelsplätze; wobei sich im allgemeinen die Unterscheidung machen läßt, daß der 
Handel in Norddeutschland, besonders an der Küste, das Handwerk in Süddeutschland 
stärker vertreten ist. 
Die Zeit vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert ist die glänzendste 
Periode des zünftigen Handwerks. Für die damaligen Verhältnisse war es ohne 
Zweifel die beste aller möglichen wirtschaftlichen Formen. Wir bewundern seine 
technischen Leistungen ebenso wie das, was es für den sozialen Aufbau der Nation 
getan hat. 
Die gewerbliche Produktion war damals überwiegend lokal. Die einzelne Stadt 
stellte weit mehr als heute ein auf sich ruhendes Ganze dar. Bei dem relativ geringen 
Verkehr des Mittelalters ergab sich als Notwendigkeit, daß jede Stadt so ziemlich 
alle gewerblichen Produkte hervorbrachte. Wir finden darum, daß die Gewerbs¬ 
zweige viel gleichmäßiger verbreitet waren als heute. Es gab nicht wie heute wenige 
und sehr große Zentren der Industrie, sondern eine Unmenge Reiner Mittelpunkte
	        
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