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Übergang zur Neuzeit.
§ 88. Die Entdeckungen. Bis zum Ende des Mittelalters hatten
die aus dem Altertum übernommenen Vorstellungen der europäischen Völker
von der Gestalt, Größe, Beschaffenheit und Bewohnbarkeit der Erde nur
wenig Bereicherungen oder Änderungen erfahren. Die Ergebnisse der
kühnen Entdeckungsfahrten der Normannen (nach Island, Grönland,
Winland) im 9.—10. Jahrhundert waren verloren gegangen. Seit dem
Beginn der Mongolenherrschaft war durch 100 Jahre ein lebhafter Ver¬
kehr mit Ostasien unterhalten worden; indes enthielten des Venezianers
Marco Polo ((Sude des 13. Jahrhunderts) Berichte über seine Reisen in
Zentral- und Ostasien so viel Wunderbares, daß sie bei den Zeitgenossen
mehr Zweifel erweckten als Anerkennung fanden.
Den größten Fortschritt in der Erschließung unseres Planeten, der
überhaupt getan werden konnte, machten am Ende des 15. Jahrhunderts
und im Anfange des 16. Jahrhunderts die Spanier und Portugiesen.
Das Ziel der Entdecker war Ostindien, die Heimat der Gewürze,
die man bisher allein von den arabischen Händlern der Levante bezog.
Die Portugiesen trieb außerdem noch die Hoffnung an, im Rücken '
der Maureu Marokkos ein Volk aufzufinden, mit dem man sich gegen sie
verbinden könne. Prinz Heinrich von Portugal, „der Seefahrer", dem
Michael Behaim die jüngsten wissenschaftlichen Erfindungen der Deutschen
(des Johannes Regiomontanns Ephemeriden uud Jakobsstab) zugänglich
gemacht hatte, verfügte als Großmeister des Christusordens über große
Mittel und schickte jährlich Schiffe an die afrikanische Westküste, die
allmählich bekannt wurde (Azoren, Madeira). Er erlebte es noch, daß
durch die Entdeckung des fruchtbaren Senegambiens das hemmende
Vorurteil von der Unbewohnbarkeit der heißen Zone überwunden wurde.
Noch verfloß aber ein Vierteljahrhundert, bis endlich Bartholomäus
Diaz König Johann II. meldete, er habe die Südspitze von Afrika,
das Kap der Guten Hoffnung, umsegelt (1486). Damit war die
Möglichkeit, Ostindien aus dem Seewege nach Osten zu erreichen, ihrer
Verwirklichung nahegerückt. Dies glückte kurze Zeit daraus Vasco da
Gama. Er fuhr durch die Straße von Mozambik, landete 1498 in
Kaliknt, der Hauptstadt des Reiches Malabar, und sah sich im Mittel¬
punkte der gesuchten indischen Gewürzmärkte. Cabral, der, durch einen
Sturm verschlagen, zuerst die Ostküste Brasiliens berührt hatte, begründete
die ostindische Herrschaft der Portugiesen. Kaum hatten sie in
Erfahrung gebracht, daß Indien nicht die Heimat, sondern nur der Markt
der Gewürze sei, diese vielmehr von den Molukken her zum Verkauf
gebracht wurden, so dehnten sie ihr Reich bis dahin unter Franz von
Almeida aus. Alsouso d'Albuquerque, der größte unter den Kon¬
quistadoren, ist der erste europäische Staatsmann, der die Aufgabe einer
Kolonialregierung löste, die Aufgabe, mit den beschränkten, aber wohl¬
geschulten Kräften eines kleinen europäischen Staates ein außereuropäisches
Gebiet von großer Ausdehnung und dichter Bevölkerung militärisch zu
beherrschen, planmäßig zu verwalten und seine Schätze der Heimat