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stark genug fühlte, verweigerte es den Tribut und eroberte nach
harten Kämpfen einen Strich Landes von ausgezeichneter Frucht¬
barkeit, nämlich das Land an der Meeresküste südlich von Karthago,
ohngefähr in den Grenzen des heutigen Staates von Tunis. Die
Eingeborenen dieses karthaginiensischen Gebietes hießen Libyer; sie
hatten feste Wohnsitze und trieben Ackerbau. Die Bewohner einer
Anzahl von Küstenstädten dieses Landes vermischten sich mit Kartha¬
gern und wurden Libyphönicier genannt. Theils um die Herrschaft
über diese Völker zu behaupten, theils um die ärmeren Bürger der
Hauptstadt mit Ländereien zu versorgen und das Anwachsen des
Pöbels zu verhindern, legten die Karthager in diesem Gebiete eine
Menge Kolonien an, welche in strenger Abhängigkeit gehalten wur¬
den und deren Tribut eine Hauptquelle für den karthagischen Staats¬
schatz war. Sie werden zwar Städte genannt, waren aber wohl
mehr offene Orte als Städte und deshalb eine sichere Beute jedes
Eroberers, welcher einen Einfall in das Gebiet von Karthago wagte.
Von diesen karthagischen Pflanzstädten muß man die ursprünglich
phönieischen Kolonien unterscheiden, Utika, Leptis, Adrumetum und
Hippo. Diese waren freie Städte, kleine Republiken mit ihren
Stadtgebieten, kamen aber, als Karthago mächtig wurde, in eine
gewisse Abhängigkeit in der Form eines Bundesverhältnisses.
Im inneren Land lebten die Numidier d. i. Nomaden, umher¬
ziehende Hirtenstämme. Wie noch jetzt die Beduinenstämme schweif¬
ten auch damals die unbezwungenen Numidier in den an herrlichen
Weiden reichen Abhängen des Ätlasgebirges umher. Sie waren bei
dürftiger und enthaltsamer Lebensweise der größten Anstrengung fä¬
hig und stellten den Karthagern für Sold leichte Truppen, besonders
vortreffliche Reiter. Der östliche Theil des karthagischen Gebietes,
die schmale Küstenstrecke zwischen der kleinen und der großen Syrte,
der jetzige Staat Tripolis, war nur an einigen von kleinen Fliis-
sen bewässerten Stellen zum Ackerbau geeignet und daselbst waren
auch karthagische Kolonien angelegt. Im Ganzen war der Boden
zum Ackerbau nicht passend, wie noch jetzt, und daher blieben die
einheimischen Stämme Nomaden. Sie dienten Karthago als Vor¬
mauer gegen den Staat von Eyrene und bildeten für die Kartha¬
ger Karavanen, welche durch die libyschen Wüsten bis zu den Ufern
des Niger und östlich bis nach Oberägypten und Aethivpien Züge
unternahmen. Das karthagische Gebiet ist ein von waldigen Ver¬
zweigungen des Atlasgebirges durchzogenes Land mit einer sandi¬
gen Küste, deren wellenförmiger Boden bei sorgfältiger Bewässerung
höchst ergiebig ist. Die Karthager hatten ihr Land, besonders in
der Nähe der Hauptstadt vortrefflich angebaut. Meilenweit um
Karthago bildete das Land gleichsam nur einen einzigen, aufs beste
bewässerten und angebauten Garten und war mit den schönsten
Landhäusern geschmückt. Karthago hatte sich, unterstützt durch seine
vortreffliche Lage, durch die große Fruchtbarkeit und das herrliche
Klima des Landes, durch Ackerbau, Handel und Gewerbsthätigkeit,
über alle Kolonien der Phönicier nach und nach emporgeschwungen
und war die mächtigste Handelsstadt des Westens der alten Welt
geworden. In der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christo
hatte die Stadt Karthago, nach einer wahrscheinlich etwas über-