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Europa.
Mangel haben abhelfen müssen. — Im Westen folgt die Grenze in nördlicher
Richtung zwar zuerst den Vogesen, läuft aber dann ohne starken und sichernden
Abschluß quer über die plateauartigen Landschaften jenseits des Rheins, da wo
überhaupt der Süden und Norden unseres Vaterlandes fast in einen gemeinsamen
Westen aufgehen, weshalb anch hier eine Anzahl starker Positionen an Flußlinien
für die nationale Sicherstellnng zu sorgeu haben. Bei dieser innigen geographischen
Berührung mit dem Osten und Westen, ans eine kurze Strecke auch mit den?
Norden, dort wo die kimbrische Halbinsel ebenfalls künstliche Schutzwehren uoth-
weudig gemacht hat, ist eine Sicherung deutschen Landes und deutscher Art
uud Sitte, in Rücksicht auf die im Osten wie im Westen vorhandenen, cen-
tralisirt regierten Großstaaten fremder Nationalität, in Rücksicht besonders auf die
Begehrlichkeit unseres westlichen Nachbars, einzig und allein durch ein strammes
Zusammenfassen und stetes Bereithalten der gesammten, einheitlich organisirten
deutschen Wehrkraft möglich, die übrigens stets die beste Grenze der uuauslöslich
verbundenen Nation, die sicherste Bürgschaft ihrer staatlichen Unabhängigkeit bleiben
wird. Die Stellung Deutschlands in dieser Beziehung ist darum wesentlich eine
Defensiv st ellnng. Das Land der europäischen Witte richtet keine Angrisss-
sront nach irgend welcher Seite, sondern nimmt nur das Recht seiner freien Selbst
bestimmuug innerhalb seiner Grenzen gleich jedem anderen großen Staate in
Anspruch; es schreckt darum auch nicht zurück vor der Kostspieligkeit seiuer von
der Natur ihm augewieseueu Abwehrstellung, und giebt in der größtmöglichen
Festigung derselben nur deu mannhaften Entschluß kund, wenn es herausgefordert
wird, durch kraftvolle, vou der ganzen Volksstärke geführte Offeusivstöße uach
rechts oder links das, was es nach allem Rechte fein eigen nennt, gegen ro-
Mainsche oder slavische Uebergrisse zu wahren. Da ihm aber eben deshalb die
allgemeine Wehrpflicht uud die darauf ruhenden Heereseinrichtungen ein
nicht mehr wegzudenkender Theil der Nationalerziehung geworden sind, ein Hebel
der Bildung, die einem Jeden nach seiner Lebensstellung möglichst intensiv zu
Theil werden soll, so steht es damit als leuchtendes Vorbild für alle übrigen
Staaten da, die, ob früher oder später, seinem Beispiel folgen müssen, um ihre
Kraft ebenfalls den Werken nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Ge-
sittuug zu widmen; als das wahre Friedensbollwerk Euro pa's Wirdes
alsdann seine Ausgabe iu der Welterziehung erfüllen.
Geschichte: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Territorial-
bestand: Fast ein Jahrtausend (950 Jahre) war seit dem ersten Auftreten deutscher Völker
(113 v. Chr.) in der Weltgeschichte vergangen, als sich durch die Theilung von Verdun
(843) von dein großen fränkischen Reiche daö deutsche ablöste, das wiederum fast ein Jahr¬
tausend (963 Jahre) bestehen sollte.
Die Grenzen des Reiches änderten sich im Laufe der Zeiten bedeutend. Seit 870 lief
die Westgrenze längs der Schelde und jenseit des Argonnenwaldes hin, während dieOstgrenze
ungefähr durch eine Linie von Trieft nach Kiel angedeutet wurde. Die westlichen Länder
(die Schweiz 1313; Metz, Toul und Verdun 1552; die Niederlande 1581; Elsaß 1639;
Francheeomt6 1678; Straßburg 1681; Lothringen 1735; die Grafschaft Mümpelgard
[Montbeliard] und daö Bisthuin Basel 1793; daö jetzige Belgien 1794) gingen verloren,
während durch die Gründung der slavischen Marken die Ostgrenze weit überschritten wurde.
Somit ist Deutschland, im Laufe der Zeiten, um die Hälfte seiner Breite von 20. nach O.
gerückt. Rechnet man daö deutsche Ordenögebiet und die Königreiche Arelat und Italien
dazu, welche Jahrhunderte lang in politischer Verbindung mit dem deutschen Reiche standen,