Full text: Physische Erdkunde für höhere Lehranstalten

D. Die gegenwärtigen Formen der Gesteinshülle. 45 
Bedeutung der Tiefländer im Haushalte der Natur und des 
Menschen. 
1. Durch ihre unmittelbare Anlehnung an die niederschlagsreichen Hochgebirge 
der Erde wie durch ihre außerordentliche horizontale Ausdehnung sind sie zur Ent¬ 
wicklung jener Riesenströme befähigt, die für sie kennzeichnend sind. 
2. Infolge der verlangsamten Absenkungen des Bodens weisen alle Tiefländer 
wenig deutlich ausgesprochene Wasserscheiden auf, ja sie fehlen wohl gänzlich 
und die Flüsse bilden Bifurkationen (der Cassiquiare verbindet Orinoco und 
Rio Negro). 
3. Naturgemäß bedingen die Tiefländer eine gewisse Einheitlichkeit der 
Lebewelt, da sie der Bewegung und Ausbreitung der organischen Wesen die 
denkbar größte Freiheit gewähren. Geben doch zwei oder drei auf Hunderten und 
Tausenden von Quadratkilometern ausschließlich auftretende Pflanzenformen der 
Wüste wie der Steppe ihr eigenartiges Aussehen; aus dem gleichen Grunde zeigt 
auch die Bevölkerung der Tiefländer einen verhältnismäßig hohen Grad von Ein¬ 
förmigkeit, z. B. in China, Rußland. 
4. Die Tiefländer neigen allenthalben zur Erzeugung großer politischer 
Einheiten, in deren Mittelpunkt — der Verkehr strebt stets nach der Mitte 
eines Länderraumes — die bedeutendsten Großstädte emporwachsen; so im russischen 
Tieflande Moskau, im norddeutschen Berlin, im Seinebecken Paris. 
5. Fast überall, wo in entsprechender Lage die Flachländer reichlich bewässert 
und mit dem Schlamme mächtiger Ströme oder diluvialer Gletscher überdeckt sind, 
gehören sie zu den fruchtbarsten Gebieten des Erdballs und nirgends treffen 
wir eine dichtere Anhäufung der Menschen als eben hier (Hindostan und China). 
Erscheinen uns die Gebirge als der Ausdruck der großartigsten Schaffenskräfte der 
Natur, so bewundern wir in den Tiefländern vielfach die nicht minder großen 
Schöpfungen menschlichen Waltend und zwar nicht nur der Jetztzeit sondern 
auch der ältesten Perioden menschlicher Gesittung (in Ägypten, Babylon, Indien, 
China). 
II. Nach der Entstehung unterscheidet man: 
1. Ursprüngliche Ebenen oder Schichtungstafelländer. 
Beispiele: Arabien, Dekan, die Russische Tafel; der eigentliche Kontinent dieser 
Art von Ebenen ist Afrika. 
2. Abrasions- oder Denudationsflächen. 
Sie sind das Ergebnis völliger Abtragung ehemaliger Gebirgserhebungen und 
treten fast nur im Gebirge des Urgesteins oder der ältesten Schichtengesteine auf. 
Beispiele: Finnland, Skandinavien, das Rheinische Schiefergebirge. 
3. Ausfüllungs- oder Aufschüttungsebenen. 
Die vorhandenen Unebenheiten des Bodens werden durch lockeres, ausgeschüttetes, 
von den Flüssen, Gletschern oder Winden herbeigeschafftes Material über¬ 
deckt. So haben z. B. die Alpenflüffe und Alpengletscher durch das von ihnen 
talwärts getragene Material die Schwäbisch-Bayerische Hochebene und die Schweizer 
Hochfläche geschaffen. Äolifchen Ursprungs sind bekanntlich die chinesischen Lö߬ 
ebenen.
	        
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