Object: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

214 
der Frauen grössere Heiligkeit zu erlangen, und vielleicht hängt damit 
noch zusammen, dass die Sprache Tugenden und Laster durch Frauen 
allegorisiert. Wenn es in der Natur des Menschen überhaupt ge¬ 
legen ist, dem weiblichen Geschlecht eine .höhere Scheu und Ehr¬ 
furcht zu beweisen, so war sie den deutschen Völkern von jeher 
besonders eingeprägt. 
Die Hauptbestimmung der zwischen Göttern und Menschen 
vermittelnden Halbgöttinnen war die, den sterblichen Menschen 
Heil oder Unheil, Sieg oder Tod anzusagen. Ihre Weisheit erspäht, 
ja sie lenkt und ordnet Verflechtungen unseres Schicksals, warnt vor 
Gefahren und rät in zweifelhafter Lage; sie heissen darum kluge, 
weise Frauen. Als die ältesten werden von Tacitus Aurinia und 
Veleda erwähnt. 
Von den drei Schicksalsgöttinnen enthält die Edda einen ab¬ 
geschlossenen , tiefsinnigen Mythus. Sie heissen gemeinschaftlich 
Nomen, einzeln aber Urdhr, Verdhandi, Skuld d. b. Schicksalsgöttinnen 
der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Lehre von ihnen 
war ursprünglich unter allen deutschen Völkern einheimisch. Man 
stellte sie sich spinnend und webend vor. Jedem neugeborenen 
Kinde nahen sie und fällen über es ihr Urteil; doch kann, was 
vorausgehende Begabungen Günstiges verheifsen, durch eine nach¬ 
folgende zum Teil wieder vereitelt werden. 
Bei den romanischen Völkern geht von den Feeen eine Menge 
Sagen, die mit dem deutschen Volksglauben zusammentreffen. Drei 
Feeen wohnen unten in einer Felsenschlucht und begaben hinab¬ 
steigende Kinder. Feeen erscheinen bei Neugeborenen und drücken 
sie an ihre Brust; es giebt sieben Feeen im Land, mau bittet sie 
zu Paten und bereitet ihnen Ehrensitze am Tisch; als schon sechse 
Platz genommen hatten, war die siebente vergessen worden, die 
nun erscheint und, während jene günstig begaben, ihre Ver¬ 
wünschungen murmelt. Im deutschen Kindermärchen (Dornröschen) 
sind es zwölf weise Frauen, die dreizehnte hatte man übersehen. 
Die weisen Frauen des germanischen Altertums sind nicht nur 
Lenkerinnen menschlicher Schicksale, nicht nur urteilende Nomen, 
sie haben noch ein anderes Amt. Sie stehen der Schlacht vor, sie 
weissagen und bringen den Kämpfern Sieg oder Verderben. Hiervon 
heissen solche halbgöttliche Jungfrauen Walküren. Es besteht eine 
Gemeinschaft der Nomen und Walküren, eine Halbgöttin kann
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.