210 Zweite Abteilung. Das Ausland. Bilder aus der Erdkunde.
Berggipfel, denn die Abruzzen haben ein rauhes Klima, ja der Vesuv
ist oft wochenlang in einen Schneemantel gehüllt; hier unten aber lacht
ewiger Frühling, kein Frühling mit blühenden Bäumen, aber doch mit
frischem Rasen, mit Blumen, jungem Laube und mit vielen immergrünen
Bäumen. Er ist wie ein deutscher März; oft finsteres Gewölk, Regen
und Sturm. Es fällt auch wohl dem Himmel ein, fünf Wochen lang
ohne Unterlaß Regen herabzuschicken; von einer eigentlichen Regenzeit
kann aber nicht die Rede sein. Auch der deutsche Winter bringt bis—
weilen Veilchen hervor; um Neapel gedeihen sie jedoch nebst vielen
andern Blumen in solcher Fülle, daß die Knaben vom Lande ganze
Körbe voll Sträußchen in der Stadt feilbieten, daß im Februar an
allen Karnevalstagen Sträuße den vorüberfahrenden Damen in den
Wagen geworfen werden. Freilich erscheint hier geringe Kälte be—
deutender als heftige bei uns, einmal, weil die Haut weicher und
empfindlicher ist, hauptsächlich aber darum, weil man sich nicht darauf
vorbereitet hat. Die Fußböden sind ja von Stein; die Fenster gehen
bis auf den Boden und schließen nicht; die Thüren stehen immer offen;
die Ofen fehlen, und Kamine gehören zu den seltenen Dingen. Ge—
wöhnlich hat der Neapolitaner bei kalter Witterung nur ein Kohlen—
becken, über dem er sich von Zeit zu Zeit die Hände wärmt; zugleich
hält er aber die Fenster offen, weil er den widerlichen Dampf nicht
vertre en kann. So kommt es, daß man nirgends mehr friert als
in Italien, und zwar klagen die Russen am meisten, weil sie daheim
am besten heizen. Übrigens hat hier die Sonne immer große Kraft,
sobald der Winter heiter ist und kein Wind weht. Dann liegen die
Lazzaroni und Landleute im Januar auf den Gassen und halten wie
im Sommer ihren Mittagsschlaf; dann sieht man auch in der Nacht
halbnackte Bettler auf dem Pflaster hingestreckt. Erhebt sich aber der
Nordwind, die berüchtigte Tramontana, und schüttelt die schlechten
Fenster, so hüllt sich der Fremde in seinen Mantel und seufzt nach dem
traulichen Ofen in der Heimat. Der Neapolitaner kann auf der Stube
weit mehr Kälte vertragen als der Nordländer; im Freien aber geht
er bei einigermaßen rauher Luft sehr warm gekleidet und bedeckt sorg—
fältig den Mund.
Gewitter sind hier im ganzen selten; sie kommen im Winter
häufiger vor als im Sommer und treten öfters plötzlich mit großer
Heftigkeit ein, besonders im Gebirge. Nichts ist erhabener als ein
Gewitter auf dem Meere; ich habe ein solches vom Strande der Insel
Ischia beobachtet. Es war schwarze Nacht; kein Stern konnte das schwere
Gewölk durchbrechen. Das offene Meer lag wie eine Welt voll Finsternis
vor mir; ich sah die Wellen nicht, ich hörte sie nur brüllen und
schäumen und an die Lavaklippen des Ufers schlagen, als solle mein
Felsensitz in Trümmer gehen. Jetzt zuckten leichte Blitze in der Ferne;