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Scenen aus dem Volksleben in Ägypten.
Handwerk verrichtend, in einer Ecke sitzt. Die Kinder haben be-
schriebene Blechtafeln vor sich und lesen, den Kops und die Kniee
hin- und herneigend, ihre Koranlektionen so wirr und wild durch-
einander, daß man meinen möchte, Lehrer und Schüler seien ins-
gesamt zu Narren geworden. Den Schulmeister vermag nichts in
seinem Phlegma zu stören; wird er beobachtet, so geifert er sein
„Schmutz auf dein Haupt!" oder inhaltsvoller „Gott verfluche deinen
Vater!" dem unberufenen Beobachter zu.
Die brennende Sonne mahnt uns daran, daß der Mittag ge-
naht sei. In der That sehen wir die frommen Gläubigen in die
offene Halle der Moschee eintreten, ihre Schuhe am Eingange ans-
ziehen und auf die Matten zum Gebete uiederknieen. Der Sänger
ruft von der Galerie des Minaret die Leute zum zweiten Gebete
herbei. „Gott ist sehr groß," singt er, „ich bekenne, daß Moham-
med der Gesandte Gottes ist. Kommt zum Gebet, kommt zum Heil,
Gott ist sehr groß, es giebt keinen Gott außer Gott!"
Wir benutzen die Zeit bis zum Aser, etwa gegen 4 Uhr nach-
mittags, wann der Türmer vom Minaret die Anhänger des Pro-
pheten zum dritten Tagesgebete auffordert, um in das Hotel oriental
an der Esbekieh einzutreten, und an der langen Tafel im großen
Empfangssaal, in Gesellschaft europäischer Reisender, das Dejeuner
einzunehmen. Das Phlegma des Engländers, der Witz des Fran-
zosen, das Gemüt des Deutschen, die Galanterieen des Polen, das
Feuer des Italieners lassen sofort verraten, welchen Ländern jene
gefelligen Kreise angehören, die hier an Herrn Colombs Tafelrunde
aus persönlicher Neigung und landsmannschaftlicher Anhänglichkeit
zusammengerückt sind, im frohen Genüsse der Gegenwart, während
dienstfertige Araber, unbeholfen genug, den europäischen Emigres,
die meistens als Kellner dienen, Hilfe leisten. Die Tafel ist auf-
gehoben, man verläßt das Hotel, in dessen luftigem und geräumigem
Hofe arabische Kaufleute Waffen aus der Mamelukenzeit zum Kauf
anbieten. Wir schlendern dem Platze der Esbekieh zu, nehmen hier
an einem der zahlreichen Tische Platz, die in langen Reihen vor
einem Dutzend von Kaffeehäusern aufgestellt find. Die Esbekieh ist
das Eldorado Kairos, ohne sie wäre der Aufenthalt in der Kalifen-
stadt nicht halb fo prächtig. Man denke sich einen großen, schönen
Garten mit Bäumen aller Art bepflanzt, dessen Gänge mit grünen-
den Gebüschen bekränzt sind. Da geht Jung und Alt spazieren.
Die Kinder liegen spielend und sich neckend auf dem Boden, die