Die Bevölkerung Marokkos.
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zurückzuführen, ihre Selbständigkeit zu verlieren. Die Mehrzahl der
Reisenden schildert diese Leute, sowohl die in Marokko, wie die in
Algier und Tunis, als zuverlässiger und anständiger in ihrem Be-
nehmen, als die Araber. Letztere sind in der That das lügnerischeste
und treuloseste Volk, das mir je vorgekommen.
Dr. Oskar Lenz.
II
Die Bewohner des Rif.
Das Atlasgebirge entsendet an den Quellen der Mulvia nach
NO. einen Zweig, den sogenannten kleinen Atlas, der sich etwas
nördlich von Teza wieder gabelt und mit seinen Armen das Littoral
umspannt. Der eine derselben zieht nordostwärts, begleitet das linke
Ufer der Mulvia und entsendet eine Abzweigung nach Norden, die
mit dem Kap Tres Forcas endet, der andere wendet sich zunächst
nach NW., und folgt dann der Küste bis Ceuta und zum Kap
Spartel. Die nördlich von diesem Küstengebirge gelegenen Land-
schasten, aus Bergkuppen und kurzen Thälern bestehend, werden von
den Bewohnern das Rif, Er-Rif, genannt, welcher Name, wie
man gewöhnlich annimmt, zu den wenigen, in der Sprache der
Berbern erhaltenen lateinischen Worten gehören und „Uferland"
(ripa) bezeichnen soll. Im engeren Sinne bildete das Rif eine der
alten 20 Provinzen des marokkanischen Reiches, und stieß im Westen
an El Gharb, die atlantische Küstenprovinz von der Mündung des
Sebu nordwärts bis Ceuta, während sie im Osten durch den Fluß
Necour von der Provinz Gart geschieden wurde, die an Algerien
grenzt.
Die Bewohner dieser gebirgigen Küste gehören der Urbevölkerung
der Berbern oder Amazirghen an, welche sich, unerachtet aller Jnva-
stonen, denen das Land im Laufe der Jahrhunderte durch Römer,
Wandalen, Araber ausgesetzt war, namentlich in den Gebirgsgegenden
sowohl an der Küste, wie aus der Hauptkette des Atlas, ziemlich
unvermischt erhalten hat und noch jetzt etwa die Hälfte der Bevölke-
rung Marokkos bildet. Das Rif ist so wenig bekannt, daß selbst
Renou, Verfasser des über Marokko handelnden Bandes der Explo¬
ration scientifique d'Algerie, weder über die Natur des Landes,
noch über die Bewohner genügende Auskunft erhalten konnte; er
schützt die Höhe des Küstengebirges auf 600 Meter; einige Gipfel