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die dem schon hart Geprüften kein Glück, aber die heiß ersehnte Frei—
heit gab; und hier, nach wiederum siebenundzwanzig Jahren, in einer
Märznacht, als der Frühlingswind über die Wasser der Spree gebraust
und die Wipfel der Bäume ringsum geschüttelt haben mag, weilte der
königliche Jüngling von damals, nunmehr auf der Höhe des Lebens,
in demselben Schlosse, welches ganz dunkel war, bis auf die hohen
Fenster der Kapelle. Dort, während die Tonmassen eines Graunschen
Tedeums sich mischten mit dem Rauschen des Windes, des Wassers
und der Bäume, saß er, wie die Sage geht, ganz allein in der Dämme—
rung einer Seitenloge, zur selben Zeit, wo die Straßen Berlins über⸗
füllt waren vom Jubel der Bevölkerung und alle Häuser von Lichtern
strahlten zur Feier der siegreichen Heimkehr aus dem siebenjährigen
Kriege. Aber ihn verlangte nicht nach dem Freudengeschrei der Menge,
sondern er wollte noch einmal allein sein mit den waltenden Mächten
des Schicksals, dieser Einsame, der ihnen so dicht in die furchtbaren
Augen geschaut hatte, der es an sich erfahren, um welchen Preis sie
unsterblichen Ruhm gewähren, und der von nun ab und für immer
Friedrich der Große heißt. Wie mit feierlichem Schritte wandelt die
Zeit durch das Schloß zu Charlottenburg, durch die Gartenzimmer,
welche Preußens geliebte Königin um den Sturz des Vaterlandes trauern,
unter den Buchen am Wasser und den Ulmen mit den Marmorbildern,
welche den beraubten Gatten um die holdeste der Frauen weinen sahen
— auch sie, diese beiden, Königin Luise und König Friedrich Wilhelm IIl.
kämpfend einen schönen Kampf, in Schmerzen überwindend, und jetzt
vereint an geheiligter Stätte dieses Gartens, wo die hohen, dunklen
Fichten stehen, wo der Tagesschein gedämpft durch gemalte Scheiben
fällt und zu den Füßen seiner Eltern friedlich Kaiser Wilhelm schlummert.
Ein Tag im April war es, leise bewegt von den Stimmen des
endlich nahenden Frühlings, vom feuchten West und Schmelzen des
Schnees, als ich zuerst nach dem langen, traurigen Winter und dem
Tode des Kaisers das Schloß von Charlottenburg wieder sah. Wir
waren auf dem Spandauer Berg gewesen — auch einem dieser „Berge“
von Berlin, in Wahrheit nicht mehr als Sandhügel, aber gastliche
Plätze mit hübschen Aussichtspunkten nichtsdestoweniger. Der Blick,
der sich uns heute bot, war auf eine weite Wasserfläche; die freundliche
Landschaft mit Wiesen und Ackerflur hatte sich in einen See verwandelt,
aus dessen Wellen nur die Dämme der Eisenbahn und die Kirchtürme
von Spandau noch hervorragten. Es war ein eigenartiges Bild, dieses
Thal bis zum fernen Forst ausgefüllt zu sehen von den zusammen—
flutenden Massen der Havel und der Spree; doch es weckle traurige
Gedanken an die durch UÜberschwemmung heimgesuchten Provinzen und
ihre zahllosen Opfer, an den vernichteten Wohlstand und die zerstörten
Heimstätten Tausender — als ob auch der Frühling diesmal die starre