Die Entwicklung der Pflanzenwelt.
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nicht nur die Gegensätze zwischen Festlands- und Inselfloren, sondern auch
die zwischen Ländern mit gleichem Klima und gleichen Bodenverhältnissen
in der Alten und der Neuen Welt bedingt.
§ 76. Die Entwicklung der Pflanzenwelt.
Die Pflanzenwelt oder Flora des jetzigen Erdzeitalters lehnt sich in
ihrer Verteilung über Land und Wasser an den Ausgang der Tertiärperiode
au, denn mit deren Abschlüsse sind die großen Pflanzenprovinzen gegeben,
wie sie im ganzen noch heute besteheu. Aber die Grenzen dieser Provinzen
sind durch die mannigfachen Veränderungen, die das Antlitz der Erde auch
iu der Quartärzeit erlitten hat, an vielen Stellen verwischt oder sind über-
schritten worden durch die Wanderungen der Pflanzen. Denn die
Winde, Meeresströmungen, die Tiere und namentlich der Mensch
haben die Keime neuen Lebens in Gegenden befördert, die ihnen ursprüng-
lich verschlossen waren; Pflanzenprovinzen, die einen ganz endemischen
(d. i. ortsangehörigen, nicht von fremden Elementen berührten) Charakter
trugen, haben diesen durch die Einführung fremder Pflanzenkeime zum Teil
eingebüßt, und die verwandten Zonen der Erde haben die Geschöpfe ihrer
Floren ausgetauscht. Diejenigen Gebiete, die den genannten bewegenden
Kräften am wenigsten oder der Besiedlung durch Menschen anderer Zonen
am spätesten ausgesetzt waren, haben um so mehr ihren endemischen Charakter
bewahrt; es sind dies vor allem das australische Festland und die süd-
lichsteu Inseln des Atlantischen uud des Indischen Ozeans. Unterstützt
werden die Wanderungen der Pflanzen durch ihre Anpassungsfähigkeit;
denn wenn sie auch von Klima und Bodenbefchaffenheit abhängig
bleiben, so haben sie doch auch die Fähigkeit, sich den mäßig veränderten
Bedingungen eines neuen Standorts und eines ähnlichen Klimas anzn-
schmiegen, ja sie zeitigen oft unter diesen neuen Bedingungen wertvollere
Früchte als unter den alten. Die heutige Pflanzenwelt ist ebenso wie die
Tierwelt als das Ergebnis einer Entwicklung zu betrachten, die sich unter
der Abhängigkeit von den Erdräumen und in steter Anpassung an sie voll-
zogen hat.
Die Anpassung der Pflauzen an veränderte klimatische Bedingungen
prägt sich manchmal in der Weise aus, daß au Stelle der dauernden Holz-
pflanzen der Tropen bei uns ausdauernde Kräuter treten, wie z. B. statt
des Kaffees und der Cinchonen Waldmeister. In der Kultur dagegen ist
bei unseren Getreidearten die Anpassung an ein kühleres und feuchteres
Klima ohne wesentliche Veränderung der äußeren Form erfolgt. Hierher
gehören auch die Schutzvorrichtungen, mit denen die Pflanzen gewalt-
samen Einflüssen des Klimas vorbeugen. Die Blätter der Eukalyptus-
Bäume Australiens umkleiden sich mit einer dicken, hornartigen Haut und
sind, wie bei manchen anderen australischen Pflanzen, ähnlich der Zitterpappel
hängend, so daß sie der Sonne bei ihrem Höchststande nur die schmale
Kante zukehren. Andere Pflanzen verwandeln ihre Blätter in Dornen,
umkleiden sie mit Schuppen oder bilden, wie der Besenstrauch, überhaupt