15. Zum Gipfel des Kibo.
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über der Ebene einzelne Kumuluswolken in der dunstigen Atmosphäre schwammen,
vom Widerschein des ziegelroten Steppenbodens an der Unterseite rötlich gefärbt.
Das Unterland selbst aber war im Schleier der aufsteigenden Wasserdämpfe nur in
undeutlichen Konturen erkennbar. Dagegen blinkte uud blitzte über uns der Eishelm
des Kibo in scheinbar greisbarer Nähe.
Weiter kletternd, trafen wir kurz vor 9 Uhr an einen Absturz zur Linken, der uns
einen großartigen Niederblick in das benachbarte, an 900 m tiefe Felstal eröffnete,
und folgten seinem Rand, bis wir endlich um 9 Uhr 50 Minuten an der unteren Grenze
des geschlossenen Kibo-Eises in 5480m Höhe anlangten.
Der Fels setzt an dieser Stelle nicht in die sonst fast allerwärts an der Eisgrenze
sichtbaren hellblauen Mauern und Wände von 20 bis 30 in Höhe ab, sondern geht
in etwa 20 in Breite ganz allmählich zur Eiskuppe über. Diese aber steigt sofort
unter 35° Neigung empor, so daß ihr ohne Eispickel absolut nicht beizukommen ist.
Daß die Besteigung des Kibo von hier aus unternommen werden könne, war nun
keiue Frage mehr; daß aber weiter oben kein nnbezwingliches Hindernis auftreten
würde, und daß unsere Kräfte ausdauern würden, war keineswegs fraglos. Es ist
ein großer Unterschied, ob man zu einer solchen Hochgebirgstour von einem Alpen-
Hotel auszieht, oder von einem kleinen Zelt ausgeht, nachdem man vorher einen zwei-
wöchigen Gewaltmarsch durch ostafrikanische Steppenwildnisse gemacht hat; ob man
mit Brot, Schinken, Eiern und Wein verproviantiert ist, oder ob man nur schlechtes
Dörrfleisch, kalten Reis und Zitronensänre mit sich führen kann. Von letzter
Proviantart versuchten wir mehrmals etwas zu uns zu nehmen, aber die Appetit-
losigkeit gebot rasch Einhalt.
So suchten wir bald die Schneebrillen hervor, zogen den Schleier über das Ge-
sicht und banden uns das Gletscherseil um den Leib. Herr Purtscheller schnürte sich
außerdem noch seine Steigeisen an die Füße, während ich mich auf meine gut ver-
nagelten und verklammerten Schuhe verlassen mußte. Um -^-11 Uhr begann mit
einem ermunternden „Los!" die schwierige Arbeit des Stnfenhauens. In dem glas-
harten, im Bruch wasserhell glänzenden Eis erforderte jede Stufe an zwanzig Pickel-
hiebe. Langsam ging es an der glatten Wand aufwärts, anfänglich wegen ihrer
fürchterlichen Steilheit schräg nach rechts hinauf, dann gerade auf den Gipfel zu.
Hier aber senkt sich das Eis in eine breite Mulde ein, welche weiter bergab in jenes
Steiltal ausläuft, das wir am Morgen traverfiert hatten, und legte sich eine so be-
drohliche Reihe von Schründen und Klüften vor unseren Weg, daß wir befürchteten,
von unferm Ziel abgeschnitten zu sein. Purtscheller versuchte die alten Schneebrücken
und Eisstege mit dem Pickel; sie hielten, und nach vorsichtigen: Darübergleiten standen
wir 12 Uhr 20 Minuten unter der letzten steileren Erhebung des Eishanges in 5700 in
Höhe. Hier benannte ich in dankbarer Erinnerung an einen verehrten Freund den
überschrittenen ersten Gletscher des Kilimandscharo „Ratzel-Gletscher". Dann wurde
sitzend gerastet und wieder ein Eßversnch gemacht, der diesmal besser gelang.
Die Wölbung der Eiskuppe, welche vom Plateau aus als die höchste erscheint,
hatten wir nun unter uns; vom Tiefland mit seinem Wolkenmeer war nichts mehr
zu sehen. Ich spreche immer nur von „Eis", weil der Kibo in diesen Tagen gar keinen
Schnee hatte. Was von unten als eine weißglänzende Schneedecke erschienen war,
ist die von Wind und Sonne zersetzte Oberfläche des Eismantels, der, durchschnittlich
60—70 in dick, als eiue kompakte Masse den Felshängen des alten Vulkans aufliegt
und überall echten Gletschercharakter annimmt, wo er in Bodensenkuugeu sich zungen-
förmig talwärts erstreckt. Obwohl die Temperatur nur wenig über 0° C schwankte,