§21. Sonnen- und Sternzeit.
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und wahrer S o n n e n z e i t wird die Zeitgleichung ge¬
nannt. Ihr Wert ist variabel; im Maximum kann derselbe auf
IG,3 Minuten ansteigen, und sie inuss berücksichtigt werden,
wenn man die von einer Sonnenuhr gezeigte wahre Sonnenzeit
mit der von unseren Kunstuhren (Taschen- oder Turmuhren) an¬
gegebenen mittleren Sonnenzeit vergleichen will*); zu ersterer ist
die einem Kniender zu entnehmende Zeitgleichung, die positiv
oder negativ sein kann, hinzuzufügen.
Die Römer und sämtliche Kulturvölker im Mittelalter be¬
dienten sich einer Einteilung des Tages im engeren Sinne, d. h.
der Zeit zwischen Auf- und Untergang der Sonne, in zwölf
Stunden. In den verschiedenen Jahreszeiten waren die Stunden
also ungleich; für unsere Gegenden war eine Sommerstunde
ungefähr noch einmal so lang, wie eine Win ter s tun de.
*) Tabellarisch lassen sich die ausgezeichneten Werte der Zeitgleichung
zusammenstellen, wie folgt:
12. Febr. 15. April 14. Mai 14. Juni 26. Juli 31. Aug. 13. Nov. 24. Dez.
+ 14™ 31s 0 — 3m53s 0 +6™ 12« 0 —16™ 18s 0
Auf das Bestehen dieser Differenz gründet sich die zu Ende Januar und
Anfang Februar so häufig zu hörende Bemerkung, man spüre gegen Abend
das Wachsen des Tages schon ganz deutlich, aber früh morgens sei noch
nichts davon zu erkennen. Wie unser obiges Schema beweist, erreicht die
Zeitgleichung in der ersten Februarhälfte einen Wert von rund einer Viertel¬
stunde, und zwar gehen unsere Uhren gegen die wahre Sonnenzeit vor.
Wenn nun die Sonne um 7A 23ra sichtbar wird, so steht die Zimmeruhr be¬
reits auf 77i 37m, und diese Viertelstunde wird als eine unerfreuliche Ver¬
längerung der Nacht empfunden. Am Abend verhält es sich natürlich um¬
gekehrt; die Sonne geht später unter, als wir, unsere Uhr befragend, eigent¬
lich erwarten würden, und es ist also eine scheinbare Verlängerung der
Tageshelle zu verzeichnen. Nachdem am 1. April 1892 für einen grossen
Teil Deutschlands und nachmals für das ganze Reich die sogenannte mittel¬
europäische Zeit (s. u.) eingeführt ist, muss sich die anscheinende Un¬
regelmässigkeit noch in erhöhtem Masse geltend machen, da ja z. B. die
auf dem Meridiane Münchens gelegenen Orte ohnehin schon eine Zeitdifferenz
von 13m — zwischen Orts- und offizieller Uhr-Zeit — zu berücksichtigen
haben. Noch einschneidender tritt der Einfluss der Zeitgleichung hervor,
wenn wir die Längen zweier Tage um den Anfang des Februar und um die
Mitte des November vergleichen. Obwohl beidemale die Sonne ziemlich zu
gleicher Zeit aufgeht, macht es sich doch stark fühlbar, dass im ersteren
Falle die Zeitgleichung einen beträchtlichen positiven, im zweiten Falle
dagegen einen beträchtlichen negativen Wert besitzt.