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Länge ausgedehnter, bogenförmig die Tiefebene Oberitaliens um-
säumender Complex von Hochgebirgsgruppen; Scheidegebirge zwi¬
schen Deutschland, Frankreich, Italien und Ungarn in Rücksicht
auf Wasser, Luft, Klima, Flora, Fauna, Völker und Sprache;
doch nicht absolut: zu den Seiten und mitten hindurch natürliche
und künstliche Commnnication. „Es vereint das Maximum der
Erhebungen mit dem Maximum der Passagen, es trennt und
verbindet zwei Welten und ist eine Welt für sich." Größte Man-
nichfaltigkeit auf kleinstem Raum in Natur *) und Menschenleben.
Das große Wasserreservoir des Rhein-, und Donau-, Po- und
Rhonegebietes. Unterschied der Längen- und Querthäler. Erzeug-
niß gewaltiger Naturkräfte: Durchbruch der platonischen Gesteine
der Mittelzone (die aus Granit, Gneis, Glimmerschiefer beste-
stende Axe des Gebirges mit den höchsten Erhebungen) durch die
auseinandergeschobenen Gesteine der Nebenzone (Kalk, Sand-
stein). Auch jetzt noch große Veränderungen durch den Kampf
der Naturkräfte (Gletscher, Lauinen, Berggewässer, Föhn), um
nach Jahrtausenden den steilen Wänden und zackigen Gipfeln
die sanften Contonren der deutschen Mittelgebirge zu geben (vgl.
die Zertrümmerung des granitnen Brockengebirges). Auch der
Mensch im Kampfe mit der Natur; ihr Eiufluß auf Körper
(kräftige Schönheit, daneben in Sumpfthälern Kretins), Lebens-
weise (von der Alm abhängige Romantik des nomadischen Hirten-
und Jägerlebens), geistige -Bildung**) (der kühne Aelpler trotz
scheinbarer Freiheit geistig gebunden), Kunst (Sinn für Musik
und Plastik) und Sprache. ***)
*) Das Innere der Berge in den West- und Centralalpen einförmig
und todt (doch heiße Quellen in allen Theilen), Bergbau nur in den Ost-
alpen erheblich.
**) Weiter Gesichtskreis im offnen Lande, beschränkt in den geschlossenen
Alpen (daher auch der Kantönligeist). Die von Tacitus gerühmte deutsche
Frömmigkeit erscheint dort eng verbunden mit sittlich-religiösem Ernst und
Forschungstrieb, hier als nicht reslectierende gläubige Hingebung; dort herrscht
Protestantismus vor, hier Katholicismus u. s. w.
***) Harte volltönende Dialecte der süddeutschen Gebirgsbewohner im
Gegensatz zu den weichen des Flachlandes (Platt); zwischen beiden die
oberdeutschen des Mittelgebirgs (die mitteldeutschen), aus denen die lnthersche
neuhochdeutsche Schriftsprache in glücklicher Mischung hervorgegangen. Diese
Schriftsprache, das wirksamste Mittel die einander feindlichen Stämme zu
nähren, jetzt die allgemeine Sprache der Gebildeten in Deutschland; ihre
Dialecte noch an der Aussprache erkennbar. Die Dialecte der Stämme theils
durch Mischung verderbt, theils nach der Grenze zurückgedrängt, daher ver¬