IV. Die weile Welt.
92. Am Nordkap.
^Henn man von Hammerfest nordwärts fährt, so scheint die schaffende
Naturkraft müde geworden zu sein; die abenteuerlichen Formen des
hohen Ufers haben aufgehört, es bildet eine wagerechte Hochfläche von etwa
achthundert Fuß Höhe. Die Abwesenheit des Baumwuchses, die dunkle Farbe
des Gesteins, die Nebel, die sich, von dem wärmeren Meerwasser aufdampfend,
hier fast immer über die Landschaft lagern, rufen den Eindruck tieftrauriger
Verlassenheit hervor. Hier freut man sich nicht mehr, am Gestade einmal
eine Menschenwohnung zu erblicken, vielmehr wird man von Mitleid mit
denen ergriffen, die in völliger Vereinsamung einen unaufhörlichen Kampf mit
den Elementen zu liefern haben. Wir sahen eine kleine Ansiedlung, deren
Bewohner das Unglück gehabt hatten, daß ihr hölzernes Haus inmitten der
mehrmonatlichen Winternacht in Flammen aufging, ohne daß ihnen irgend
jemand zu Hilfe kommen konnte. Inmitten der Verwirrung ging ihnen ihr
Kind verloren; ob es verbrannt ist oder sein Grab in den Wellen gefunden
hat, haben sie nie erfahren. — Zuletzt aber scheint die ermüdete Natur noch
einmal sich aufzuraffen; gewaltig steigt ein äußerstes Vorgebirge empor;
feierlicher Ernst liegt auf dem schwärzlichen Felsen, der wie ein Wachtposten
Europas in das Eismeer hinausblickt — das ist das Nordkap.
Der beschwerliche Aufstieg wurde durch einen Strick erleichtert; er währte
eine aute halbe Stunde. Oben angekommen, sahen wir uns in dichten Nebel
eingehüllt; wer hier irreging, der setzte sein Leben aufs Spiel in der tröst,
losen Öde; daher wagte niemand, von dem Tau, das hier den Weg anzeigte,
so weit sich zu entfernen, daß er es oder die andern, die an ihm entlang,
gingen, aus den Augen verlor. Noch eine halbe Stunde auf der Ebene vor-
wärts, da standen wir am oberen Nande des Nordkaps; beim Blick hin.
unter schien der Felsen überzuhängen. Es war gegen Mitternacht; ich fetzte