Zuerst lesen!
Worin bestehen gediegene geographische Kenntnisse? Be-
stehen sie in dem Kennen oder Können etlicher Schock von
Städte-, Fluß- und Gebirgsnamen? Die
könnte auch ein sechsjähriger Junge in 8 Tagen auswendig
lernen! Besäße er darum gute geographische Kenntnisse? Er
hätte so viel und so wenig Nutzen davon, wie von etlichen
Schock auswendig gelernter Wörter einer Fremdsprache, zu
denen ihm die Möglichkeit der rechten Anwendung fehlt!
Bestehen gute geographische Kenntnisse in dem Wissen
der Einwohnerzahlen der Städte und Länder, in dem
Wissen des genauen Verlaufs der politischen Grenzen
usw.? Das sind Sachen, die dem beständigen Wechsel unter-
warfen sind. Wer darauf sein Hauptgewicht legt, der macht
sich zum statistischen Sammelsurium, ist in seinem Wissen aber
schon nach einem Jahr veraltet und erscheint geradezu lächerlich,
wenn er nach zehn Jahren Zahlen oder Grenzlinien angibt, die
der Vergangenheit angehören.
Besteht das geographische Wissen in der Kenntnis der
Sehenswürdigkeiten der Städte, in der BeHerr-
schung der Stadtpläne oder dergleichen? Bieten unsere
modernen Städte in groben Umrissen nicht fast alle dasselbe?
Welche hat keine Theater, Denkmäler, Museen, Bildersamm-
lungen, Bibliotheken, schöne Anlagen, bemerkenswerte Stra-
ßen, bedeutende Männer, die hier geboren oder gestorben sind,
hier wohnten oder auf der Durchreise einmal Station mach-
ten? Soll man von jeder Stadt das alles, was sie hatte, hat
oder nicht hat, wissen und erwähnen? Geißt denn geographische
Bildung gewinnen, sich zum Fremdenfiihrer ausbilden?
Besteht die geographische Schulung in dem Wissen „i n -
teressanter Namen, Beiname n" usw. von Städten
und Ländern, als da sind: „Der Garten Deutschlands" —
„Die tote Ecke Europas" — „Der kranke Mann" — „Das himm¬
lische Reich" u. a.? Das ist gefährliche Einseitigkeit! Darf
man aus dem Regenbogen eine Farbe (Rot oder Blau) heraus-
greifen und sagen, man habe den Regenbogen charakterisiert,
während doch sieben Farben sein ganzes Wesen ausmachen?