Kursus III. Abschnitt III. § 123. 201
der ehemaligen großen Alpengletscher gebildet ist; die fjordartigen Rinnen der letz-
teren füllen die Alpenseeen aus. Dieses Hügelland besteht nur zum kleineren Teil
aus unfruchtbaren, mit Buschwerk oder dürftigen Weiden bedeckten Steinfeldern;
im übrigen wird es von Reben-, Obst- und Maulbeerpflanzungen eingenommen.
Die Seidenzucht ist in diesem Gebiet und besonders in der lieblichen Brianza
(zwischen Monza und Lecco) sehr ergiebig. Unter den Städten des Hügellandes,
welche am Fnß der Alpen liegen (Como, Bergamo, Brescia, Peschiera und Ve-
rona) ist Brescia der Mittelpunkt der Seidenindustrie. Peschiera am Mineio
und Gardasee uud Verona an der Etsch bilden die nördliche Front des Festnngs-
Vierecks (Mantna und Leguano); Verona hat besonders die Aufgabe, die Brenner-
straße zu schützen.
Das eigentliche Tiefland dehnt sich unterhalb Casale zu beiden Seiten des
Po als eine vollständig horizontale Ebene aus, aus welcher sich nur an zwei
Stellen im 0. isoliert die vulkanischen Gruppen der enganeischen und bericischen
Hügel erheben; die Ebene besteht aus eiuer tiefen Schicht der fruchtbarsten Anschwem-
mnngserde und ist durch die intensivste Kultur in einen herrlichen Garten ver-
wandelt worden. So weit der Blick reicht, prangen die Fluren im grünen
Schmuck der Saaten (Weizen, Mais); zwischen denselben stehen in langen
Reihen Obst-, Feigen-, Mandel- und Maulbeerbäume oder Ulmen und Pappeln,
an denen sich die Reben emporranken und von Baum zu Baum in Guirlanden
winden. Die sumpfigen Niederungen an den Ufern der Flüsse oder künstlich über-
rieselte Striche nehmen ausgedehnte Reisfelder ein. Der Po und feine Neben¬
flüsse eignen sich zur künstlichen Bewässerung der Ebene, da sie durch die mit-
geführten Sinkstoffe ihr Bett immer mehr über das Flußniveau erhöhen. Die
Ufer des Po und seiner östlichen Nebenflüsse sind im untern Lauf von aus-
gedehuteu Sümpfen umgebeu.
Die Natur der Flüsse in ihrem Unterlauf macht es erklärlich, daß nur
wenige größere Städte sich an ihren Ufern befinden.
Die größte Stadt der Ebene, Mailand, liegt in der Mitte zwischen dem
Teffin und der Adda an einem Schiffahrtskanal, der beide Flüsse verbindet.
Mailand hat von jeher unter den Städten der Tiefebene den ersten Platz eingenommen.
Durch seine Lage in dem Vereinigungspunkt aller Alpenstraßen vom Simplonpaß bis zum
Wormser Joch war Mailand ganz naturgemäß zur Vermittlung des italienischen Handels
berufen; in dieser Stellung ist die Stadt schon früh zu großer Macht und zu bürgerlicher
Freiheit gelangt, welche sie an der Spitze des norditalischen Städtebundes gegen den mächtigsten
deutschen Kaiser, Friedrich Barbarossa, in blutigen Kämpfen verteidigt und siegreich be-
hanptet hat. Auch in der Gegenwart ist Mailand eine lebhafte Handels- und Industriestadt
(Seide) und nimmt mit seinen 280000 Einwohnern unter den Städten des geeinigten Italiens
den dritten Platz ein.
Die Versumpfungen an den Ponfern beginnen unterhalb Piacenza (Pia- ,
centia), welches als der letzte bequeme Übergaugspuukt über deu Po stets
eine große Bedeutung gehabt hat. In Piacenza pflegten die deutschen
Kaiser die Heeresmusterung zu halten, bevor sie den Marsch nach Rom auf
der Straße antraten, welche südwärts durch die Tieflandsbucht von Alesfandria
zieht und den Apennin in dem Labocchettapaß überschreitet. Zur Sicherung dieser
Passage erbauten die Lombarden gegen Friedrich Barbarossa die Festung Alessandria.