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ließ Antipatris und Joppe zur Rechten liegen und erreichte über Lydda
oder Diospolis die von ihren Bewohnern verlassene, unmuthig belegene
Stadt Ramla. Drei Tage stärkten sich hier die Pilger und zogen dann bis
Nikopolis, welches vor der römischen Beherrschung Emmaus genannt wurde.
2. Einige machten jetzt den Vorschlag: man solle nicht die Belagerung
Jerusalems unternehmen, sondern vorher Ägypten erobern, weil sich auf
diese Weise ein größeres, dauerndes Reich stiften lasse und die Unterwerfung
der vereinzelten Landschaften leicht werde, sobald die Hauptmacht gefallen
sei. Der fromme Wunsch Jerusalem zu besitzen überwog indeß jeden ande¬
ren umfassenderen Plan; und vielleicht war das Heer wirklich unzulänglich
zur Ausführung des eben erwähnten. Auch trafen um diese Zeit Boten
von den Christen in Bethlehem ein und baten, ihnen schleunige Hilfe zu
senden, damit nach Jerusalem ziehende Türken nicht ihre neu erbaute, sehr
schöne Kirche zerstören möchten. Von hundert auserwählten Rittern be¬
gleitet erreichte Tankred mit der Morgenröthe die Stadt, und freudig kamen
ihnen die Bewohner entgegen, sangen Hymnen und Psalmen, führten alle
zu Marias Wohnung und zeigten die Krippe, wo das Kind lag, welches
die Welt erlöset hat. Gläubig knieten und beteten die Ritter, dann eilten
sie nach Jerusalem. Weit allen übrigen voraus aber war Tankred und
wagte sich bis zu den Mauern, bis jenseits des Thales Josaphat zum Öl¬
berge; erst als mehrere Saracenen den Ritter erblickt hatten und ihm nach¬
setzten, begab er sich zu seinen Begleitern zurück. Auch in dem großen Heere
war man ungeduldig über jeden Augenblick längerer Zögerung, und schon
in der Nacht vom fünften auf den sechsten Junius brach Gaston von Biterre
mit dreißig Begleitern auf gegen die Stadt. Er erbeutete eine Herde, war
aber bereits von Saracenen, welche aus Jerusalem herbeieilten, auf einem
Hügel eingeschlossen, als unerwartet Tankred mit den Seinen erschien und
die Feinde verjagte. Sobald die Ritter zum großen Heere zurückkamen und
verkündeten, daß sie Bethlehem gesehen und Jerusalem, ergriff alle Pilger
ein unbeschreiblicher Eifer; rastlos eilten sie vorwärts, jeder wollte die vor¬
liegende Anhöhe zuerst ersteigen, jeder zuerst die heiligen Orte erblicken.
Endlich erreichte man den Gipfel des Berges und erkannte in der Ferne
Jerusalem. Da sielen alle auf ihre Kniee, küßten den Boden, erhuben Lob-
gesänge und weinten Thränen der Freude und der Wehmuth; sie vergaßen
aller Leiden um solches Lohnes willen, sie vergaßen, daß unzählige Feinde
den Einzug in die Stadt verhinderten.
3. Sobald Jftikhar Eddaulah, der Befehlshaber des ägyptischen Ka¬
lifen, von der Annäherung der Franken Nachricht erhielt, ließ er eiligst die
Thürme und Mauern der Stadt ausbessern und verstärken, Lebensmittel,
Waffen und Kriegsbedürfnisse aller Art aufhäufen und die ohnedies un¬
fruchtbare Gegend auf mehrere Meilen in die Runde so verwüsten, daß
nur einzelne Ölbäume und stachlige Sträucher, nirgends aber Lebensmittel