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Vorgelagert sind ihnen Berge der Kalk- und Schiefer-Formation.
So ist der Protogyn der Montblancgruppe von schwarzen Kalksteinen
und Schiefern der unteren Juraformation eingefaßt und nördlich vom
Montblanc lagert sich die Kalksteinkette der Alpen des Chablais, nach
dem Genfersee hin abfallend.
Die Montblancgruppe hat drei Zugänge. Von Süden her führt
aus der Lombardei ein Weg ins Thal der Dora baltea über Aosta
nach dem piemontesischen Städtchen Courmayeur in das wildromantische,
fast 11 Stunden lange Hochthal der Allee Blanche, mit wundervollen
Blicken auf die Gletscherreihe des Südabhanges der Montblanckette.
Die zweite Straße führt vom St. Gotthard oder von Mailand her
über den Simplon ins Rhonethal (Wallis) nach Martigny, von dort
südlich über den Col de Balme oder den Bergpaß der Tete noire.
Der dritte bekannte und beliebteste Eingang führt von Genf ins Thal
der Arve über Bonneville nach St. Martin und Sallenches. Dort
erscheint in colossaler Größe und schon ganz nahe, mächtig über die
Vorberge in den blauen Aether aufragend, das blendend weiße Schnee¬
haupt des „Monarchen", wie ihn die Thalleute genannt haben.
Schon wer dies Haupt von der Rhonebrücke in Genf, die
„Montblancbrücke" genannt, erblickt, bleibt wie betroffen stehen —
und welcher Mensch des 19. Jahrhunderts möchte dann nicht von
Sehnsucht ergriffen werden, sich die Berg-Majestät, ihren Hof und
Thron und ihr Schloß näher anzuschauen und trotz aller reizenden
Schönheit des Leman weiter hinaufzudringen in die Bergwildniß des
Savoyer Hochlandes!
In früherer Zeit und bis durch die ganze Hälfte des vorigen
Jahrhunderts hindurch verspürte freilich Niemand etwas von solcher
Sehnsucht; der Anblick von Schnee und Eis im warmen Sommer wirkte
mehr abstoßend als anziehend; der ästhetische Sinn für die Wildniß
des Hochgebirges war nicht erschlossen. Seit der Gründung der
Benedictiner-Abtei (1a krieurö) durch den Genfer Grafen A im on war
das Hochthal von Chamouny, eingerahmt von der Montblancmasse im
Süden und von den Aiguilles rouges („rochen Nadeln") im Norden,
nur den Bewohnern der nächsten Umgebung bekannt, und wenn die
Nachbarn einmal eine Wallfahrt nach der Prieurö unternahmen, dann
pflegten sie sich wohl zu rüsten, insbesondere auch mit Waffen zu ver¬
sehen, denn die Bewohner des Chamouny-Thales standen im Ruf, es
mit dem Leben und Eigenthum der Fremden nicht eben genau zu
nehmen. Die erschrecklichen Bergcolosse, Steintrümmer und Eisströme
ringsum galten aber für so häßlich und „wüst", daß man sie les
montagnes maudites (die verfluchten Berge) nannte, denen zu nahen
nicht rathsam sei?) Auch fehlte es so sehr an gangbaren Wegen, daß
*) Noch heißt der zweithöchste Gipfel des Montblanc Mont Maudit. Seine Höhe
beträgt 4771 Meter.
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