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mehr als 4 bis 5 Meter Höhe über dem Wasser, denn vier Fünstheile
eines Eisberges sind in's Wasser getaucht. Die Eisberge der Baffinsbay
sind bei weitem höher, sie überragen zuweilen die Masten der Schiffe;
in dieser Bucht ist aber auch die Temperatur des Meeres unter Null,
der Gletscher schmilzt nicht bei der Berührung mit dem Wasser, er geht
bis aus den Grund des Meeres herab und die Theile, welche sich von
demselben ablösen, sind um den ganzen untergetauchten Theil höher, der
in den Baien von Spitzbergen durch die Schmelzung zerstört wird.
Doch bieten die Eisberge auch bei Spitzbergen ein Schauspiel dar,
an dem man sich nicht satt sieht. Grotten und Höhlen, auf der Wasser¬
linie durch die Wellen gebildet, sind mit den schönsten lasurblauen Tinten
gefärbt, und wenn bei etwas unruhiger See diese Eisberge von den
Schlagwellen geschaukelt werden, so bieten diese Färbungen den schönsten
Wechsel dar vom reinsten Weiß bis zum tiefsten Ultramarinblau. Sind
die Blöcke zahlreich, so vernimmt man ein Knistern, ähnlich dem von
elektrischen Funken, wahrscheinlich von den Luftbläschen herrührend, die
aus dem Eise aufsteigen, je mehr dasselbe bei der Berührung mit dem
Wasser schmilzt. Prächtig sind auch die Eisgrotten der Gletscher aus
Spitzbergen, mit denen verglichen die „Tempel des Winters", welche bei
Grindelwald, Rosenlaui und im Chamounixthale den Schweizerreisenden
gegen ein Trinkgeld erschlossen werden, zu Kleinigkeiten herabsinken.
„Eines Tages," erzählt Martins, „als ich vor dem Gletscher von Bell¬
sound Meerestemperaturen ausgenommen hatte, schlug ich den mich beglei¬
tenden Matrosen vor, mit dem Boote in eine dieser Höhlen einzudringen.
Ich setzte ihnen die Gefahren auseinander, die wir zu besteben hätten, da
ich nichts ohne ihr Gutheißen wagen mochte. Einstimmig nahmen sie
meinen Vorschlag an. Als unser Nachen den Eingang passirt hatte, be¬
fanden wir uns in einem ungeheuren gothischen Dome; lange Eiszapfen
mit kegelförmiger Spitze hingen vom Gewölbe herab, die Einbiegungen
schienen eben so viele zum Hauptschiff gehörige Capellen zu sein, breite
Spalten trennten die Wände und die vollen Zwischenpfeiler strebten gleich
Bogen zum Gewölbe empor; lasurblaue Tinten spielten auf dem Eise und
spiegelten sich im Wasser wieder. Die Matrosen, lauter Bretagner,
waren wie ich selber stumm vor Bewunderung."
Andererseits haben die Gletscher der Schweiz manche Schönheit vor
denen von Spitzbergen voraus. Letztere sind meist glatt und zeigen nicht
oder selten jene Eisnadeln und Prismen auf, welche die Reisenden auf
dem Glacier des Bossons, auf dem von Talefre bei Chamounix und auf
andern Schweizer Gletschern bewundern. Sie bewegen sich nur auf sanften
Abhängen und bilden deßhalb keine gefrorenen Wasserstürze (Cascaden),
wie jene. Es klaffen also auch keine Spalten auf, und wenn sie auf¬
klafften, würde auf Spitzbergen die schweizerische Sonne fehlen, welche die
Spalten beleckt und sie in prächtige Zacken, aufrechtstehende Säulen oder
Eisnadeln zertheilt.
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