Full text: Lesebuch für die Oberklassen der Volksschulen des Regierungsbezirkes Oberfranken

97. Die Trauerweide. — 98. Der Jüngste Tag. 
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uns herab vom Arme und Schoß; sie legte uns liebend und sanft in die 
Wiege. — Starr und bleich, gebrochen an Kraft und Bewegung sind wir 
im Tode; man legt uns in den Sarg; denn wir selbst können uns nicht betten. 
Wiege und Sarg — an beiden wird geweint. Wer kennt nicht die 
Tränen der Freude, die im Vater- oder Mutterauge glänzen, wenn es auf 
die Wiege des Kindes blickt? Wer kennt nicht die Tränen des Schmerzes, 
welche in dem Auge des Kindes glänzen, wenn es am Sarge der Eltern 
steht? — Eltern legen ihre Kinder in die Wiege und in der Regel betten 
die Kinder ihre Eltern in den Sarg; Tränen gibt's hier wie dort. 
Wiege und Sarg — an beiden wird gehofft. Ja, Hoffnung regt sich 
im Herzen, süße Hoffnung leuchtet uns entgegen, wenn wir an der Wiege 
unserer Lieblinge stehen. Mit ihnen hoffen wir durchs Leben zu en 
durch sie gedenken wir ein Band zu knüpfen für die Erde und Glück, 
Freude und Wonne zu finden. — Im Tode ist dieses Band zerrissen; aber 
wir hoffen mit Zupersicht, es werde in der de s wieder dauerhaft 
knüpfen und diese Hoffnung ist am Sarge unser Trost, unser Anker, unser 
Rettungsstern. 
Wiege und Sarg — an beiden wird gebetet. Fromme Wünsche, Ge— 
danken und Gefühle steigen aus dem Herzen der Eltern zum Himmel auf, 
wenn sie an dem harmlosen Lager des Kindes stehen; um Glück und Segen 
für den Liebling beten sie zu Gott. Auch am Sarge beten wir; wir beten 
für den Toten; wir beten für ihn um ein gnädiges Gericht, um Himmels—⸗ 
frieden und Seligkeit. Wir beten für uns um Weisheit für das Leben 
und das Sterben. 
Wiege und Sarg, immerdar werdet ihr Menschen bergen; oft, ach, 
steht nahe beieinander, oft kaum ein Spanne weit getrennt! Doch 
oder fern, ihr beide seid Wiegen, die eine Wiege für die Erde, die 
andere für den Himmel. Cudw. Wurtert. 
97. Die Trauerweide. 
Caub, Zweig' und Üste läßt die Trauerweide 
Fur Erde hangen wie vor großem Leide. 
Ein stolzer Baum war sie in Jesu Tagen, 
Bis man mit ihrem Zweig den Herrn geschlagen. 
Als sie mißbraucht sich sah zu Gottes Hohne, 
Da neigete vor Wehmut sie die KNrone 
Und kann vor Schmerz noch nicht die Zweige heben, 
Läßt sie, wie Wind sie wirft, in Lüften schweben. 
Aug. Kopisch 
e—— 
Menn der Jungste Tag will werden, 
Dann fallen die Sternlein auf die Erden, 
Beugen sich der Bãume Sitaen, 
Vo die lieben Waldvõgelein silæen. 
Kommt der liebe Gott geaogen 
Auf einem schöõnen Regenbogen 
Und spricht: »Ihr Toten sollt auferstenn 
Und sollt vor Gottes Gerichte gelin.
	        
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